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"Nice to meet you!"

■ Theater im Knast: Das Ensemble Aufbruch inszeniert ein mittelalterliches Gelage in der JVA Tegel. Bis auf einen Ziegenbock machen alle mit, sogar die Schließer

Die Ritter der Tafelrunde haben es schwer: ihre Burg ist belagert, und der Hofnarr hat die Pest. Doch ein echter Ritter läßt sich nicht am Tafeln hindern. Mit Minnesang und Trommelrhythmen beginnt das mittelalterliche Gelage.

Keine Burg der Welt hat mehr Kerker als diese. Und im Gegensatz zum rüpelhaften, aber ruhmreichen Roten Ritter sind die Verliese echt: Es wird Theater gespielt in der Justizvollzugsanstalt Tegel, Haus 3. Hier sitzen die sogenannten Langstrafer – manche mehrfach lebenslänglich. Die Bühne steht im „Stern“, dort wo die langen Flure mit den Zellentüren beginnen. Über der Szene das Fangnetz, das lebensmüde Häftlinge vor dem Aufprall bewahren soll, darüber drei Stockwerke Galerien, drei Stockwerke mit langen Fluren. Inmitten dieser abgeschlossenen Welt mit ihren rigiden Regeln: die Bretter, die die Welt bedeuten. Burgfräulein Kunigunde verliest die Burgordnung: „Zur Zählung der Ritter werden um 11.45 Uhr alle in ihre Gemächer gebeten.“ Zögerliche Heiterkeit im Zuschauerraum. Belustigte Blicke, unsichere Blicke. Man muß sich erst gewöhnen an die plötzlich gelockerte Stimmung.

Das Ensemble, das heute die Haftanstalt bespielt, nennt sich „Aufbruch“. „Das ist durchaus wörtlich zu nehmen“, erklärt Regisseur Roland Brus. „Wir wollen hier in Tegel etwas aufbrechen.“ In einem anderen Teilbereich der Anstalt, in der 1.600 Häftlinge einsitzen, probt er bereits seit Januar mit einer Gefangenentheatergruppe. Hier in Haus 3 sollen bald Trommelworkshops stattfinden. Unterstützt wird der „Aufbruch“ vom Förderverein „Kunst und Knast“, der künstlerischen Projekten in Gefängnissen organisatorisch und finanziell unter die Arme greift. Ohne den Verein wäre die Aufbruchsarbeit unmöglich.

Die Ritter gebärden sich wild und geraten in Streit. Der Burgherr vermag nicht zu schlichten – es kommt zu einer Kissenschlacht, an der sich auch die Häftlinge und ihre Schließer beteiligen. Dann betritt der Star der Inszenierung die Bühne: ein leibhaftiger Ziegenbock. Dem mißfällt offenbar das Ambiente – er ziert es mit Ausscheidungen. Auf der Galerie, hoch über den Köpfen der Zuschauer, liefern sich ein Engel und ein Teufel ein Gefecht um die Seelen der Anwesenden. „Früher oder später kommen sie alle zu mir“, erklärt der Engel siegessicher. Dazu Musik von den Rolling Stones als Gruß des Ensembles an die Gefangenen: „Nice to meet you!“ Holger Wicht

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