: Der Mayo-König aus Vetschau
Richard Hellmann brachte Anfang des Jahrhunderts die Mayonnaise aus dem Spreewald in die USA. Heute wünschen sich die Vetschauer ein wenig von seinem Erfolg ■ Von Henk Raijer
Der Ofen ist aus in Vetschau. Die Rauchwolken sind verschwunden. Sie waren das Wahrzeichen der Stadt im Süden Brandenburgs. Geblieben ist vom Kraftwerk nur Industriebrache, hektarweise. Von verrosteten Strommasten hängen Kabel herunter, die sich in einem Knäuel aus Maschendraht und Gestrüpp verlieren.
„So 'n Ende ham wa nich für möglich jehalten“, sagt Herr Bulan. „Früher jab's keen Anhalten, nie, Strom mußte sein.“ Dreißig Jahre arbeitete der Mittfünfziger als Maschinist im Energiekombinat. Heute verwaltet er den Rückbau: „Wenn die im Juni die beeden letzten Schornsteine sprengen, guck' ick lieba weg.“
Vetschau, „Tor zum Spreewald“. Für Tausende „Gastarbeiter“ aus Thüringen und Sachsen, die seit Mitte der sechziger Jahre in die Neubausiedlung Kraftwerkstraße zogen, war das immer das Werk und die Braunkohle. Beide sind schon nach einer Generation Geschichte. Jetzt haben 20 Prozent der Vetschauer keinen Job. Wo jede Hoffnung fehlt, können Mythen kleine Wunder bewirken. Das glauben jedenfalls einige Vetschauer und halten sich an Richard Hellmann, den berühmtesten Sohn ihrer Stadt, der „die Mayonnaise nach Amerika brachte“, damit viel Geld verdiente und daheim im Spreewald als Wohltäter zur lebenden Legende wurde.
Im „Alten Brauhaus“ in der Richard-Hellmann-Straße wurde vor kurzem feierlich die „Hellmann- Stube“ eröffnet. Mit dabei einer der letzten, die den Mayo-König noch persönlich gekannt haben: Ernst Hellmann (71), emeritierter Veterinärprofessor aus Berlin. Er unterhielt die Gäste mit Anekdoten. „Als Onkel Richard 1934 nach Vetschau kam, brachte er mir, dem Achtjährigen, einen Baseball- Handschuh und einen Ball mit. Ich wußte nichts damit anzufangen. Und ich fand auch niemanden damals, der das mit mir spielen konnte“, erzählte der Großneffe. Und schilderte dann, wie der tatkräftige, nur 1,60 Meter kleine Selfmademan stets auf Applaus aus war. „Als ich 1957 durch ein Forschungsstipendium in die USA kam, erlebte ich in New York, wie sich Onkel Richard, der damals schon fast achtzig war, einem Taxifahrer zu erkennen gab. Der wollte es nicht glauben, daß ein so kleiner Mann ein so großer sein kann.“
„Ich werde nach Amerika gehen und ein Vermögen machen.“ So hat er es gesagt, der Richard Hellmann, schon 1897. So berichtete es 1931 ein Firmenmagazin. „Eines Tages komme ich dann zurück, und sie werden alle stolz auf mich sein.“ Und tatsächlich hat Vetschaus reicher Onkel aus Amerika mit seiner Bilderbuchkarriere den Leuten im 8.000-Einwohner- Ort ein identitätsstiftendes Ideal vermacht — „det eener aus Vetsche et schaffen kann“.
Der gelernte Kaufmann, der am 22. Juni 1876 geboren wurde, verließ Deutschland um die Jahrhundertwende, um in New York mit „Mutterns Rezept“ seinen amerikanischen Traum zu verwirklichen. In seiner Heimatstadt hat er sich gleich mehrfach verewigt. 1924 unterstützte er nur seine von Krieg und Wirtschaftskrise gebeutelten Verwandten, 1929 gründete sich bereits eine nach ihm benannte Stiftung, die Hellmann aus Aktienkapital finanzierte.
Das Kuratorium hatte aus „ehrenwerten Gemeindemitgliedern“ zu bestehen und nach dem Willen des „Paten“ peinlich genau darauf zu achten, wie das Geld verwendet wurde: In den dreißiger Jahren wurden der Rittersaal des Schlosses restauriert, ein Sportstadion gebaut und ein Spielplatz geschaffen. Stiftungsmittel halfen auch, das 1926 erstellte Sommerbad zu erhalten, und Hellmann ließ in der Cottbusser Straße ein Wohnhaus für verarmte Kriegswitwen bauen.
Das Stadtschloß liegt heute an der Autobahn Berlin–Cottbus. Das Schwimmbad mit seinen Umkleidehäuschen aus ockerfarbenen Holzpalisaden sieht immer noch so aus wie vor siebzig Jahren. Am Alten Brauhaus aus der Gründerzeit im Zentrum Vetschaus weist ein unscheinbares Foto auf die Hellmann-Stube hin. Die Idee, die Ausstellung in einer Gaststätte unterzubringen, hatte Klaus Biesel, Geschäftsführer der Regionalen Entwicklungsgesellschaft Vetschau mbH. „So haben wir privates Interesse und öffentlichen Nutzen bestens in Einklang gebracht.“
Ausgestellt in dem Raum unterm Dach der früheren Bierbrauerei sind: Zeitungsausschnitte und Fotos (Richard Hellmann zu Besuch in Vetschau 1929, 1931 und 1934), Faksimiles und Originalurkunden: „Die Freiwillige Feuerwehr Vetschau dankt Herrn Richard Hellmann, Fabrikenbesitzer in New York, für seine hochherzige Spende von Eintausend Reichsmark. Sie fand ihre Verwendung bei der Anschaffung eines Mannschafts-Automobils.“
Wer war der Mann, den es aus dem Spreewald nach Amerika zu Reichtum und Ruhm trieb? Bevor er sich 1899 daranmachte, in New York sukzessive Tellerwäscher und Millionär zu werden, ging Richard Hellmann bei einem Vetschauer Kaufmann in die Lehre. Anschließend arbeitete er im Delikatessengeschäft Borchardt am Berliner Gendarmenmarkt, wo noch heute ein Restaurant diesen Namen führt. Nach einigen Jahren als Gehilfe in einem New Yorker Lebensmittelladen eröffnete Hellmann 1905 von gespartem Geld in der Columbus Avenue einen Feinkostladen. Dort bot er neben Kartoffelsalat auch Mayonnaise an – ein an der Ostküste zu jener Zeit unbekanntes Produkt. Er verkaufte die Mayonnaise frisch, so wie er das Rezept von zu Hause kannte. „Hellmann's Real Mayonnaise“ kam so gut an, daß der Jungunternehmer gleich nebenan einen Lagerraum anmietete, wo er das populäre Dressing in Gläser abfüllen ließ.
Vorläufig einziges Problem blieb die Haltbarkeit. Großabnehmer wie Hotels oder Restaurants oder auch Geschäfte in entfernteren Regionen konnte Hellmann bis 1914 nicht beliefern. Erst als er sich die Methoden zur Konservierung des Dressings angeeignet hatte, trat Hellmann's Real Mayonnaise ihren Siegeszug über den Kontinent an. Hellmanns Erfolgsrezept war eine frühe Just-in-time- Produktion: Innerhalb von zehn Jahren ließ er in sieben Großstädten der USA Mayonnaise-Fabriken bauen und belieferte von dort aus preußisch pünktlich seine Kunden mit frischer Ware – und kassierte immer sofort und in bar ab.
1927 betrug Hellmanns Gewinn acht Millionen US-Dollar, der „poor young immigrant from Germany“ (Firmenmagazin) gehörte zu den Reichen Amerikas. Ende der zwanziger Jahre übernahm der West-Coast-Multi General Foods Hellmanns Firma unter Beibehaltung von Namen und Markenzeichen: dem heute in 60 Ländern bekannten „Blue Ribbon“-Label. Der Mayo-König selbst hatte bis zu seinem Tod im Februar 1971 nur noch sein Vermögen zu verwalten, das schon 1931 auf 120 Millionen Dollar geschätzt wurde.
Daheim in Vetschau arrangierte sich Hellmann zu Beginn der NS- Diktatur mit den örtlichen Nazi- Repräsentanten und scheute sich auch nicht, 1934 bei der Eröffnung des Hellmann-Parks mit deutschem Gruß anzutreten. Dennoch blieb ihm der Versuch der Partei suspekt, das Stiftungskapital nach Deutschland zu holen. Nach hartem Poker verkaufte er 1937 seine Aktien dennoch und vermachte den Erlös und seine beiden Immobilien in Vetschau der Stiftung.
Lutz Gubbatz, gebürtiger Vetschauer und in der Stadtverwaltung im Schloß für Wohnungen und Liegenschaften zuständig, weiß, „daß diese Anweisung nie angekommen ist. Der Kriegseintritt der USA tat ein übriges. Das Geld dürfte heute einen Wert von etwa 100.000 Dollar haben.“
Nach 1945 versuchte die SED, die Hellmann-Stiftung in Volkseigentum zu überführen. Die Kuratoriumsmitglieder wehrten sich heftig und ausdauernd, 1961 jedoch erlahmten die Aktivitäten der Stiftung, und die Stadt beanspruchte das restliche Vermögen (4.489 Mark der DDR) zum Unterhalt der beiden Stiftungsimmobilien. Seit 1993 arbeitet das neu berufene Kuratorium: Zu den heutigen „ehrenwerten Gemeindemitgliedern“ im Vorstand zählen auch Lutz Gubbatz, Klaus Biesel und der Bürgermeister Axel Müller. Sie wollen nicht nur der Stiftung, sondern auch ihrer Stadt neues Leben einhauchen. Unlängst haben sie die Hellmann-Immobilien verkauft und den Erlös in Wertpapieren angelegt; von den Zinsen sollen auch in Zukunft wieder zur Hälfte kommunale, zur Hälfte gemeinnützige Projekte gefördert werden.
Die Stadt entlastet das ein wenig. „Die paar Neuansiedlungen haben noch nicht den erhofften Erfolg gebracht“, bedauert Bürgermeister Müller. „Auch vom Spreewald-Tourismus kann der Ort nicht den großen Wurf erwarten.“ Blühende Landschaften allerdings versprächen die riesigen Seen, die nach der Flutung der ausgekohlten Tagebaugebiete entstehen sollen – allerdings erst nach der Jahrtausendwende. Für den Anfang könnte da die Hellmann-Stube „Regionspezifisches“ bieten.
„Hellmann-Stube? Keene Ahnung, nie jehört.“ Den 16jährigen Jörg zieht es auf eine Limo ins Alte Brauhaus; es pfeift ein Wind durch die Lücken, die der Krieg am Markt, Ecke Hellmann-Straße, hinterlassen hat. „Ach doch, ick weeß, da jab's ma eenen aus Vetsche, der iss reich jeworden in Amerika.“
Vetschau-Lobbyist Klaus Biesel ist überzeugt, daß die Idee verfängt. Am Tresen des Brauhauses sinniert er: „Es müßte uns doch gelingen, auch Pfanni-Maizena für unsere Sache zu gewinnen.“ Die Firma Maizena vertreibt seit dem Sommer 1995 von Heilbronn aus Hellmann's Real Mayonnaise in Deutschland. „Hellmann's gibt's immerhin auch hier im Plus-Markt“, so Biesel. „Da hätten die doch auch was davon, oder?“
Die Sonne bescheint grell die gleichförmigen Wohnblocks in der Kraftwerkstraße. Eine Frau kommt eben vom Einkauf im Plus zurück. Sie sei schon in der Hellmann-Stube gewesen, erzählt sie. Sie kenne auch die Geschichte des Mayo-Königs. Die gebürtige Vetschauerin meint, Maizena solle nicht nur spenden, sondern sogar ihren Deutschland-Vertrieb von Vetschau aus organisieren. „Hier bei uns im Osten sollten die Arbeitsplätze schaffen. Schließlich ist Hellmanns Mayonnaise ein original ostdeutsches Rezept“. Und: Hellmann's gehöre wieder dorthin, wo Hellmann mal herkam: in den Spreewald.
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