: Der Blick für die Unterschiede
Ein Modellprojekt in Berlin arbeitet als erste Migrantinneninitiative mit ausländischen Frauen im Frauenknast Plötzensee. Die sozialpsychologische Betreuung steht im Vordergrund ■ Von Isabel Richter
„Ohne Gefühl für die Mentalität der Frauen geht es überhaupt nicht“, erzählt Julia, eine der beiden Migrantinnen, die ausländische Frauen im Frauenknast Plötzensee betreuen.
Die Sprachbarrieren der meisten ausländischen inhaftierten Frauen in Plötzensee zu überwinden ist das Ziel des Migrantinnenprojektes im Interkulturellen Frauenzentrum S.U.S.I. in Berlin- Mitte. Die Frauen sind die ersten Migrantinnen, die in der „Plötze", wie der Frauenknast im Berliner Sprachgebrauch genannt wird, professionell Betreuungsaufgaben übernehmen.
Freigängerinnen aus Lateinamerika berichteten der Gruppe Anfang 1995 von der besonderen Isolation ausländischer Frauen in der „Plötze“. Der emotionale Druck ist bei ihnen besonders hoch: sie sind von ihren Familien getrennt, auch „draußen“ fehlen Bezugspersonen, und die Sprachbarrieren machen die besondere Isolation ausländischer Frauen im Frauenknast deutlich. Die meisten von ihnen können die Angebote sozialer Betreuung nicht nutzen, weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen. In Haus II befinden sich Frauen, die längere Haftstrafen absitzen. Rund 70 Prozent haben keinen deutschen Paß. Viele von ihnen kommen aus Osteuropa, Lateinamerika oder Vietnam. Darauf haben sich die beiden Migrantinnen der Initiative eingestellt: sie sprechen mehrere Sprachen – unter anderem Russisch, Ukrainisch, Polnisch, Spanisch und Vietnamesisch.
Julia kommt aus der Ukraine und lebt seit sechs Jahren in Deutschland. Sie arbeitet vor allem mit Frauen aus Osteuropa. Die meisten kommen wegen Ladendiebstahls, Prostitution oder Drogendelikte als „Ersttäterinnen“ nach Plötzensee. In der Untersuchungshaft seien für viele Frauen Informationen zur rechtlichen Situation und der Kontakt zu RechtsanwältInnen besonders wichtig, erzählt sie. Dadurch könne die Untersuchungshaft oft erheblich verkürzt werden. Mit Übersetzungs- und Vermittlungsarbeiten zwischen den Frauen im Knast und den Sozialarbeiterinnen und Beamtinnen ist ihre Arbeit lange noch nicht getan. Marina und Julia sind beide keine ausgebildeten Sozialarbeiterinnen, aber durch ihr eigenes Leben im Exil und ihre besondere Affinität zum Fremdsein haben beide einen persönlichen Zugang zu dieser Form sozialer Arbeit. Denn um wirklich mit den Migrantinnen in der Plötze reden zu können, müsse man viel über die jeweilige Mentalität und so etwas wie die kulturellen Bedürfnisse der Frauen kennen.
„Der Knast versucht, alle Frauen in der Haft gleich zu machen“, sagt Marina. Deshalb sei der Blick für die Unterschiede besonders wichtig. „Viele wollen nicht zurück. Zu Hause haben sie überhaupt keine Zukunft. Keine der Frauen würde das offiziell so sagen“, fährt Marina fort, „aber das hört man in vielen Gesprächen zwischen den Zeilen.“ Andere sind zum ersten Mal in Deutschland und möchten möglichst schnell in ihre Herkunftsländer zurückkehren.
Die Lateinamerikanerinnen, die Marina betreut, sitzen in der Regel längere Haftstrafen ab. Viele von ihnen kommen als Drogenkurierinnen aus Peru, Kolumbien oder Brasilien nach Deutschland. Meistens haben sie niedrige Bildungsabschlüsse, und oft sind sie alleinerziehende Mütter, die nicht nur ihre Kinder, sondern auch andere Familienangehörige versorgen. Marina geht davon aus, daß die meisten Frauen wissen, was sie tun, wenn sie Drogen in ihren Körpern transportieren. Sie suchen bewußt einen Ausweg aus ihrer Situation, die von Armut und fehlenden Lebensperspektiven in ihren Herkunftsländern geprägt ist. Das ganze Ausmaß des Risikos, das vor allem hohe Haftstrafen bedeutet, ist ihnen oft nicht bewußt. Und auch auf die Vollzugsrealität im Knast sind viele nicht vorbereitet. In der Untersuchungshaft beginnt für sie eine Zeit der Isolation, in der es ihnen schwer gemacht wird, Kontakt zu ihren Angehörigen aufzunehmen. Briefe müssen ins Deutsche übersetzt werden, was manchmal Monate dauern kann, so daß der Kontakt der Gefangenen zu ihren Familien und Kindern oft völlig abreißt. Übersetzen, Briefe schreiben und den ersten Kontakt „nach draußen“ herzustellen, gehört für Marina zu den Hauptaufgaben.
Während der Untersuchungshaft sind manche Frauen 23 Stunden eingeschlossen. Alle versuchen, wie auch die deutschen Frauen, für 12 Mark pro Tag in der Wäscherei, der Gärtnerei oder der Putzkolonne zu arbeiten, um ihre Isolation zu durchbrechen und Geld für das Nötigste zusammenzubekommen.
Selbst die Migrantinnen, die mehrjährige Haftstrafen in der „Plötze“ absitzen, können weder eine Berufsausbildung noch einen Schulabschluß machen. Es ist von vornherein klar, daß sie dem deutschen Arbeitsmarkt nie zur Verfügung stehen werden. Das aber ist die Voraussetzung, zum Beispiel einen Platz in den vom Arbeitsamt geförderten Umschulungsmaßnahmen zu bekommen.
Die meisten Frauen können nach Zwei Dritteln ihrer Haftzeit direkt abgeschoben werden. Für die Migrantinnen in der „Plötze“ bedeutet das, daß sie nach ihrer Strafhaft oft noch so lange in Abschiebehaft bleiben, bis die Ausländerbehörde ihre Abschiebung verwaltungstechnisch geregelt hat. Und das kann dauern.
Was bei der Arbeit mit den Frauen in Plötzensee zurückbleibt? „Man lernt, keine Erwartungen zu haben“, sagt Julia. „Und vor allem lernt man, das eigene Leben in Frage zu stellen.“
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