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Cannabisgefahr stark überschätzt

■ Haschisch-Studie aus dem Gesundheitsministerium belegt: Horst Seehofers Drogenpolitik vorurteilsbeladen

Berlin (taz) – Haschisch in Apotheken kaufen zu können wäre für Gesundheitsminister Horst Seehofer ein „verheerendes Signal“. Daß vieles gerade für einen geregelten Cannabisverkauf in Apotheken spricht, legt eine Quelle nahe, die der CSU-Politiker aus nächster Nähe kennt: eine von Seehofers Ministerium selbst in Auftrag gegebene Studie. Titel der 300 Seiten starken schriftlichen Fassung der Untersuchung: „Cannabiskonsum in der Bundesrepublik Deutschland: Entwicklungstendenzen, Konsummuster und Einflußfaktoren“.

Kürzlich wurden die Resultate in aller Stille veröffentlicht. Das Werk, das ein dreiköpfiges Berliner Team unter Leitung des Professors Dieter Kleiber erstellt hat, enthält brisante Erkenntnisse. Denn es räumt mit vielen Vorurteilen auf, die christsoziale Drogenpolitiker wie Horst Seehofer gerne unter die Leute bringen.

Erstens stimmt die oft behauptete Abhängigkeit von Cannabis nicht: Zwei Drittel der 1.458 Befragten haben in ihrem Leben nur bis zu fünfmal Cannabis konsumiert. 90 bis 95 Prozent stellen den Konsum nach einer Probierphase wieder ein. Unter den Gewohnheitskonsumenten, die bis zu mehrmals täglich zum Joint greifen, wurde bei acht Prozent eine psychische Abhängigkeit konstatiert. Unter denen allerdings, die ausschließlich Haschisch und Marihuana konsumieren, gelten zwei Prozent als abhängig.

Zweitens widerspricht die Studie dem vielzitierten Argument, nach dem Haschisch eine „Einstiegsdroge“ zu härterem Stoff sei: Zwar haben zwei Drittel der Cannabisten auch Erfahrungen mit anderen illegalen Drogen. Doch die Forscher meinen: „Die Befunde widersprechen der Eskalationsthese, wonach der Konsum von Cannabis quasi substanzinduziert härtere Konsumformen wahrscheinlicher macht.“

Drittens stimmt das Klischee von der Jagd nach dem so dringend gebrauchten Stoff nicht: Drei Viertel der Befragten erklärten, kein oder kaum ein Bedürfnis zu verspüren, sich Dope zu besorgen, wenn sie keinen greifbar haben. Ebensoviele rauchen ihren ersten Joint mit Freunden und Bekannten, bekommen den Stoff also nicht von einem unbekannten Dealer. Das Selbstbild der Kiffer ist interessanterweise dem, das der Gesundheitsminister von ihnen hat, nicht so unähnlich: Mehr als 20 Prozent bezeichnen sich selbst als abhängig. „Sowohl Individual- als auch Gelegenheitskonsumenten überschätzen die Gefährdung in Form einer objektiv diagnostizierbaren Abhängigkeit beträchtlich“, so die Forscher.

Die Studie bestätigt allerdings auch die These des phlegmatischen Kiffers: 70 Prozent sagten, sie hätten durch den Genuß von Marihuana oder Cannabis schon einmal Probleme bekommen, vor allem wenn es darum ging, persönliche Vorhaben zu realisieren. Aber auch von „psychischen Problemen“, „Filmrissen“ oder Ärger mit der Familie wird berichtet. Wenig überraschend: Ein Viertel der Männer und zwölf Prozent der Frauen hatten schon einmal Ärger mit der Polizei. Und es sieht nicht so aus, als sollte sich daran in Zukunft etwas ändern. Jeannette Goddar

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