: Despotische Allianzen
■ Türkei: Teilamnestierung linker Chefredakteure
In der Nacht zum Donnerstag hat das türkische Parlament eine Chance vertan. Debattiert wurde über eine Amnestie für all die wegen „Gesinnungsdelikten“ inhaftierten Intellektuellen. Das magere Ergebnis: Eine handvoll Chefredakteure darf unter Auflagen den Knast verlassen.
Ausgerechnet führende Islamisten und Vertreter der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) haben sich für eine breitere Amnestie ausgesprochen, die neben den nun Teilamnestierten auch Schriftsteller und Menschenrechtler umfaßt hätte. Aber Premier Mesut Yilmaz sowie sein Koalitionspartner Bülent Eçevit haben sich nicht überwinden können, den gegen Linke und Separatisten gerichteten Straftatbestand der „Gesinnungsdelikte“ endgültig abzuschaffen.
Obgleich das Gesetz vorwiegend Chefredakteuren linker Blätter zugute kommt, kann man es nicht wirklich als Amnestie bezeichnen, denn ihre Strafen sind lediglich zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt. Allerdings ist nicht zu unterschätzen, daß sie überhaupt das Gefängnis verlassen dürfen. Wie der herzkranke Chefredakteur der prokurdischen Özgür Gündem, Isik Yurtcu, werden die meisten von ihnen die lange Bewährungsfrist nicht akzeptieren, da sie sie als einen Maulkorb empfinden. Für all die anderen, die wegen Meinungsäußerungen hohe Gefängnisstrafen abzusitzen haben, ist ein Leben in Freiheit weiterhin nicht in Sicht.
Die Parlamentsdebatte über die Amnestie von „Gesinnungsdelinquenten“ hat gezeigt: Es gibt quer durch alle Parlamentsparteien Abgeordnete, die sich mit demokratischer Toleranz immer noch sehr schwer tun. Nur so können Allianzen wie die zwischen dem konservativen Ministerpräsidenten Yilmaz und seinem sozialdemokratischen Koalitionspartner Eçevit erklärt werden. Während dogmatische Islamisten sich für eine richtige Amnestie aussprechen, unterstützt ihre Mitkämpferin Tansu Çiller den Entwurf der ihr sonst so verhaßten Yilmaz-Regierung.
Wären die Regierungsparteien entschlossen gewesen, eine Amnestie zu erlassen, die ihrem Namen gerecht geworden wäre, hätten sie das Gesetz mit Stimmen aus der Opposition durchbekommen. Dieses Mal läßt sich die Schuld nicht aufs Militär schieben. Dilek Zaptçioglu
Bericht Seite 8
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