: „Diese Erpressung hat pathologische Züge“
■ Die Kriminologin Monika Frommel über die Produkterpressung des Nestlé-Konzerns
Monika Frommel ist Direktorin des Kriminologischen Instituts an der Universität Kiel.
taz: Nehmen Produkterpressungen wie bei Nestlé zu?
Monika Frommel: Der Nestlé- Konzern wagt jetzt den Schritt an die Öffentlichkeit. Früher hätte man solch einen Fall klüger abgewickelt, indem man nicht die Zeitungen informiert hätte.
Sie raten zu Stillschweigen?
Ja, denn Veröffentlichungen über Lebensmittelvergiftungen haben unserer Erfahrung nach immer Nachahmer zur Folge. Deswegen häufen sich jetzt diese Delikte.
Sicherheitsunternehmen sprechen von rund 130 Produkterpressungen im Jahr. Die meisten Erpressungen gerieten nicht an die Öffentlichkeit, so heißt es. Oft würden die Firmen stillschweigend bezahlen.
Mit solchen Zahlen würde ich vorsichtig sein. Die beruhen auf Selbstangaben der Unternehmen. Da ist alles dabei, Scherze, Jugendstreiche. Vielleicht stecken auch Konkurrenten dahinter.
Die Polizei sorgt sich offenbar, daß jemand tatsächlich vergiftete Lebensmittel verzehrt.
Die Polizei könnte die entsprechenden Kaufhäuser auch diskret auf Giftspuren untersuchen. Man könnte auch bestimmte Produkte einfach zurückrufen, ohne die Erpressung als Grund anzugeben. Das wäre viel umsichtiger. Sie verhindern damit den Vergiftungsfall und schaffen nicht diese Schlagzeilen wie jetzt.
Anscheinend hofft die Polizei, daß ihr der Täter bei der Geldübergabe ins Netz geht.
Wenn ein Täter gefaßt wird, dann am ehesten bei der Geldübergabe.
Die meisten Produkterpresser, so heißt es, machten gar nicht Ernst ...
Wir leben in einer Gesellschaft, in der viele Verrückte und Halbverrückte herumlaufen. Die lesen irgendwas und machen es nach. Man kann nicht generell sagen, wie ernst das ist.
Ist für die Täter das Geld allein entscheidend, oder spielt der Thrill, daß das durch die Medien geht, auch eine Rolle?
Das kann man allgemein nicht sagen. Ich vermute mal, daß wir es hier mit Nachahmungstätern zu tun haben, bei denen die Lust, in der Zeitung erwähnt zu werden, eine große Rolle spielt. Kriminalität ist auch ein Unterhaltungsstück.
Die Erpresser sind also keine Profis?
Ich würde vermuten, nein. Die Produkterpressung ist jedenfalls keine klassische Verbrechensart, wo man sagen kann, daß ein rational kalkulierender Verbrecher damit Geld machen kann. Diese Produkterpressung hat stark pathologische Züge. Barbara Dribbusch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen