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Alte Gewerkschaften in Tony Blairs New Britain

■ Auf dem Gewerkschaftstag der TUC hatte Labour einen schweren Stand

Dublin (taz) – Die ideologischen Gräben der Vergangenheit seien endlich überwunden, freute sich Adair Turner, Generaldirektor des Verbands der britischen Industrie. Es war erst das zweite Mal, daß ein oberster Arbeitgeber auf dem Kongreß des britischen Gewerkschaftsbundes TUC sprach, der gestern im Seebad Brighton zu Ende ging. Adair lobte vor allem das TUC-Angebot der Partnerschaft und gestand den Gewerkschaften eine „legitime und wertvolle Rolle“ zu: „New Labour, new Unionism.“

Seit zwei Jahrzehnten hatte kein Premierminister mehr auf dem Gewerkschaftskongreß gesprochen, und vielen Delegierten wäre es zweifellos lieber gewesen, wenn auch Tony Blair in der Downing Street geblieben wäre. „Wir werden nicht zu den Zeiten der Industriekriege zurückkehren“, sagte er in seiner Rede am Dienstag, „zu den Streiks ohne Abstimmung, den fliegenden Streikposten, den Solidaritätsstreiks und dem ganzen Zeug. Ihr wollt das nicht, und ich werde es nicht zulassen.“

Blair erklärte den Delegierten, daß die Gewerkschaften sterben würden, falls sie nicht mit der Modernisierung beginnen. Eine Reihe von Einzelgewerkschaften lebten nicht in der Realwelt, sagte er. Sie müssen sich endlich an die neue flexible Arbeitswelt anpassen, und er werde ihnen dabei genau auf die Finger schauen, warnte Blair.

Die meisten Delegierten schluckten die deutlichen Worte und gaben Blair eine höfliche, wenn auch nicht begeisterte stehende Ovation von einer Minute. Lediglich Rodney Bickerstaffe von der größten Einzelgewerkschaft, Unison, scherte vorgestern aus: Er forderte Blair auf, endlich in die „reale Welt“ einzutreten und das von den Tories geerbte Dogma in bezug auf Steuern und Staatsausgaben zu begraben.

Und sein Kollege John Edmonds sagte, Blairs Zauberwort von der „Flexibilität des Arbeitsmarkts“ jage ihm einen Schauer über den Rücken. Oftmals bedeute das nämlich: „Du bist gefeuert.“ Blair und Turner behaupten dagegen, Flexibilität führe zu größerem Wirtschaftswachstum und niedrigerer Arbeitslosigkeit. In Wirklichkeit liegt das britische Wachstum derzeit deutlich unter dem in den „inflexiblen“ siebziger Jahren.

Und was die Arbeitslosigkeit angeht, so sagte Lord Eatwell, früherer Wirtschaftsberater des Labour-Chefs Neil Kinnock, daß in Großbritannien und den USA eine „hohe versteckte Arbeitslosigkeit“ herrsche. Würde man sie in die Statistik miteinbeziehen, läge die britische Arbeitslosigkeit – derzeit 5,5 Prozent – auf deutschem oder französischem Niveau, wo mehr als doppelt so viele Menschen arbeitslos sind. Ralf Sotscheck

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