: Eckige und runde Bärte
Was ist bloß los mit dir, du Hauptstadt? Wenn Schriftsteller am Abend über die „Veränderung von Mitteleuropa in Berlin“ sprechen ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Schön, wie viele Menschen die Literatur besuchen, denkt man, wenn man am Dienstag abend in die Akademie der Künste kommt. Es ist still, weil plötzlich Herbst ist. Unter dem Titel „Stadtbild/Weltbild – Über die Veränderung von Mitteleuropa in Berlin“ wollte man – initiiert vom „Bund deutscher Architekten in Berlin“ – von der sogen. Hauptstadt sprechen.
Auf dem Podium vor allem DDR-sozialisierte Schriftsteller und Essayisten: Friedrich Dieckmann, der liberale Denker, Kerstin Hensel von der sächsischen Dichterschule, Katja Lange-Müller, Bodo Morshäuser, Repräsentant kritischen Bewußtseins, Richard Pietraß und Klaus Schlesinger, der am nettesten aussieht mit seinem weißen runden Bart, der gut zu seinen weißen Haaren paßt.
Doch was als Text funktionieren mag, ist für den Vortrag manchmal völlig ungeeignet, ein Gemeinplatz, der auch am Dienstag abend gern ignoriert wurde. Von Friedrich Dieckmann beispielsweise, der sich über Maß und Form des Berliner Bauens Gedanken machte und einen Ausschnitt aus einem längeren Artikel vorstotterte, der sehr nach Zeit- Dossier oder Architektenzeitschrift klang und grad erst fertig geworden war. Ein reiner Lesetext, der von einem innerstädtischen maßvollen oder maßlosen Bauwerk zum nächsten eilte und dem Zuhörer keine Chance ließ, sich die Dinge vorzustellen. „Gläserschwellende Baukörper“ wurden begrüßt; Bürgersteige, die zu „Kommerzsteigen“ gerieten, gegeißelt.
Auch Richard Pietraß vom Freitag, der sich mit einem eckigen Bart schmückte, trug einen Text vor, dem eine diesmal eher behäbige Kommerzfeindlichkeit eigen war. Launig ging es um die „Möchtegernarchitektur“ des „Fetischtempels“ Lafayette, in dem neben „französischem Fummel“ auch „Fusseln“ ausgestellt seien. Alles sehr zu kritisieren, weil da alles käuflich ist, und der Autor, bemüht, sich mit dem Bißchenressentiment seiner Leser zu verbinden, grad mal Geld gehabt hatte, drei paar Socken für seine Nichte (hi, hi) zu erstehen. Er beklagte die „Maulaffenprozession“ der Leute und trauerte dem obligatorischen Benjaminschen Flaneur nach. Dann trug Pietraß auch noch Gedichte vor: „eingetragen ins Geflecht ihrer Arme und Beine / bin ich ihr Mitglied“. Nun denn.
Paßte ganz gut zu den Texten von Kerstin Hensel, die leise sächselnd etwas über die Eröffnung des Hotel Hilton vorlas. Fein gedrechselt ganz ernsthafte Klischeebauklötzchen. Schön ist es im stilisierten Dreck des Heimatkiezes, schlecht wird einem von den ganzen West-Trüffeln. Ihr Glaube an das Handwerk des Dichters (Alliteratiönchen etc.) rührte irgendwie. Auch Sätze in einer anderen „Miniatur“, woll'ma sagen: „Saubere Menschen mit sauberen Autos. Das kannte ich. Da war ich zu Haus“, Wagenburgler „kochen ihr Lebenssüppchen“.
Katja Lange-Müller berlinerte lustig wie immer; Bodo Morshäuser protestierte zu Recht dagegen, daß es immer nur um das Erscheinungsbild der Stadtmitte ginge und nicht meinetwegen um das Grauen des Kurt-Schumacher-Platzes. Nazimäßig die Umgebung saubermachen wollen usw.: Sein Text zerfiel zwischen Literatur, Polemik und Journalismus.
Am angenehmsten – weil er auch so schön liest – Klaus Schlesinger und dessen, diesmal schön altmodischer Brief eines Überzeugungsostlers über die Veränderungen in der Stadt und die Ausrottung aller Spuren der DDR- Geschichte. Kein Stück Ressentiment; statt dessen eher zurückhaltende Melancholie. Wird wohl bald in der Neuen Zeitung für ein neues Berlin erscheinen.
Daß alle immer klatschten, war schön. Ein junges Mädchen fand alles grauenhaft kulturfromm. Stimmt auch, daß Off-Lesungen tatsächlich meist interessanter sind: weil durch den Spalt des schreiberischen Ungeschicks mehr individuelle Lebensgefühle vorbeikommen.
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