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Mordplan war vorab bekannt

■ Geheimbericht der Untersuchungskommission zum Mord an Rabin beweist, daß der Informant des Geheimdienstes vom Attentat wußte. Raviv soll den Mörder angestiftet haben

Jerusalem (taz) – Der Informant des israelischen Geheimdienstes Schin Beth in der ultranationalistischen Szene, Avishai Raviv, wußte vorab von dem Plan Yigal Amirs, Ministerpräsident Jitzhak Rabin zu ermorden. Raviv gab diese Information aber nicht an seine Vorgesetzten weiter. Dies geht aus einem geheimen Teil des Untersuchungsberichts der Shamgar-Kommission hervor, der gestern von der israelischen Regierung veröffentlicht wurde.

Auch die Theorie von einer Anstifterrolle Ravivs bekam neue Nahrung. Zeugen haben laut dem Bericht gegenüber der Shamgar- Kommission ausgesagt, daß Raviv vor dem Mord Yigal Amir erklärte, daß gegen Rabin das talmudische Urteil „din rodef“ verhängt worden sei. Dieses Verdikt besagt, daß Rabin als „Verfolger“ von Juden mit dem Tode bestraft werden muß. Die Rechte, so schreibt die Zeitung Haaretz, dürfte jetzt erst recht behaupten, daß ein Mitarbeiter des Schin Beth Yigal Amir zum Mord an Rabin anstiftete. Doch verweist die Zeitung darauf, daß Amir in Verhören den Namen Raviv nie erwähnte. Das Todesurteil „din rodef“ sei nach eigenen Aussagen von Rabbinern gefällt worden, deren Namen er nicht nannte.

Laut dem veröffentlichten sechsseitigen Papier wußte der Geheimdienst von den rechtsradikalen Aktivitäten Ravivs und seinen Gewaltaktionen gegen Palästinenser. Er sei deshalb mehrfach verwarnt worden. Drei Monate vor dem Mord an Rabin habe eine Ermahnung des Informanten stattgefunden. Doch habe der Geheimdienst trotz Bedenken über das Verhalten Ravis die Informationen, die er lieferte, als zu wertvoll angesehen, um ihn fallenzulassen.

Carmi Gillon, zur Zeit der Ermordung Rabins Chef des Schin Beth, nannte Raviv einen „guten, aber problematischen Agenten“. Der Geheimdienst habe Probleme gehabt, Informanten in der ultrarechten Szene zu rekrutieren. Die meisten Aktivisten hätten einen religiösen Hintergrund und glaubten an ihre Ideologie. Einige hätten ihre Agentenführer getäuscht, andere die Zusammenarbeit verweigert. Der Schin Beth habe aber nie daran gezweifelt, daß Raviv nur dem rechtsradikalen Lager gegenüber loyal war.

Raviv, der 1987 rekrutiert wurde, hat nach Angaben hoher Geheimdienstoffiziere nie ein festes Gehalt bezogen. Für wertvolle Informationen habe er rund 500 Shekel (etwa 250 Mark), für weniger wertvolle 100 bis 200 Shekel erhalten. Zur Zeit seiner Rekrutierung sei Raviv Mitglied der inzwischen verbotenen Kach-Bewegung des in New York ermordeten Rabbi Meir Kahane gewesen. 1990 schloß er sich der Gruppe „Ayal“ an, der auch Amir angehörte.

Der Bericht sagt ferner, daß der Geheimdienst allgemeine Hinweise besaß, wonach ein Attentat auf Rabin geplant war, und Rabin darüber informiert hat. Gleichwohl hielt sich der Schin Beth für fähig, dem Ministerpräsidenten ausreichend Schutz zu bieten. Eine angeordnete Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen des Schin Beth wurde nicht durchgeführt. Nach der Veröffentlichung des Berichts haben gestern Knesset-Abgeordnete aller Fraktionen eine Anklage gegen den Agentenführer von Raviv sowie gegen Raviv gefordert. Angaben des israelischen Rundfunks zufolge ist eine Untersuchung gegen Raviv eingeleitet.

Die israelische Regierung hatte sich zur Veröffentlichung des als geheim eingestuften Teils des Berichts der Shamgar-Kommission entschlossen, nachdem Ende vergangenen Monats neue Verschwörungstheorien aufgetaucht waren. Die Zeitung der National-Religiösen Partei, Hashofet, hatte den früheren Außenminister Shimon Peres und hohe Geheimdienstleute als Drahtzieher des Attentats auf Rabin bezeichnet. Die Arbeitspartei hatte daraufhin das rechtsnationale Lager und die Regierung Netanjahu beschuldigt, nur von ihren Haßkampagnen gegen Rabin ablenken zu wollen, die erst das Klima für den Mord geschaffen hätten. Georg Baltissen

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