■ Das „Produkt Kirche“ auf der Suche nach einem neuen Profil: Kundenorientierung erwünscht
Wer Pfarrer werden will, hört an der Universität viel vom Geist – vom Geld erfährt er dagegen kaum etwas. Allenfalls über Verteilungsgerechtigkeit machte man sich in Theologenkreisen bisher Gedanken. Doch wie das zu Verteilende erwirtschaftet wird, galt als profane Frage, mit der sich andere beschäftigen sollten. Diese Einstellung war bis vor ein paar Jahren kein Problem. Denn die Kirchen profitierten von den Wohlstandszuwächsen. Zwischen 1965 und 1985 verdreifachte sich das Kirchensteueraufkommen der Evangelischen Kirche, und die Zahl der Pfarrer verdoppelte sich. Daß die Kirchen immer leerer wurden, bedauerten viele Theologen. Aber sie führten es nicht auf sich selbst und ihre Institution zurück, sondern auf den Verfall der Werte in der Gesellschaft.
Das Kirchensteuersystem hat zu einer Wahrnehmungstrübung der Pfarrer geführt. Die könnte nun existenzbedrohend werden. Denn die Erfahrung, daß ohne eigene Leistung Geld in die Kasse fließt, hat bei vielen Kirchenmitarbeitern verhindert, Offenheit für die Bedürfnisse der Gesellschaft zu entwickeln.
Die Finanzkrise zwingt die Kirchen jetzt, sich mit der eigenen Rolle auseinanderzusetzen. Während die einen meinen, sich in Zeiten der Not nur noch um die Gemeindemitglieder kümmern zu können, plädieren vor allem Jüngere dafür, sich für die Wünsche der Menschen „draußen“ zu öffnen. Kundenorientierung heißt das bei den Ökonomen, die neuerdings in progressiveren Kirchenkreisen die Stichworte geben. Ob Gott dabei auf der Strecke bleibt, ist noch nicht ausdiskutiert. Manche wollen den boomenden Markt der Sinnsuchenden gerade mit einer Betonung des Evangeliums bedienen und das „Produkt Kirche“ klar gegen die Konkurrenten in Form von Sekten, Volkshochschulen und esoterischer Zirkel abgrenzen. Andere plädieren dafür, die Sinnsuchenden dort abzuholen, wo sie stehen, und auf einem individuellen Weg zu begleiten.
In allen Fällen geht es aber darum, die Kasse wieder zu füllen. Denn in Zeiten erodierender Sozialsysteme sind die Kirchen im praktischen Leben weitaus mehr gefordert als in der Vergangenheit. Ein Dilemma muß das aber nicht unbedingt sein: Wenn die Sinnsuchenden davon überzeugt sind, daß mit ihrem Geld sinnvolle Dinge passieren, dann könnten sie bereit sein, dafür zu zahlen, ohne einen persönlichen Nutzen daraus zu ziehen. Solidarität, davon sind Werbefachleute überzeugt, hat entgegen landläufiger Meinung durchaus noch ein gutes Image. Annette Jensen
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