: Das halbe Pferd geopfert
Vor 125 Jahren wurde der Verleger und Pferdezüchter Bruno Cassirer geboren – Spuren zu einem Mentor des Berliner Geisteslebens und ein bißchen Hufgetrappel ■ Von Harry Nutt
Der Schriftsteller Wolfgang Koeppen kam in Interviews wiederholt auf seinen ersten Verleger Bruno Cassirer zu sprechen. Dabei verlief deren Beziehung keineswegs reibungslos. Um den schreibfaulen Koeppen zu seinem ersten Roman zu bewegen, ließ er den jungen Autor kurzerhand für zwei Wochen in eine leerstehende Wohnung einschließen. Vergeblich. Der Roman „Eine unglückliche Liebe“ entstand erst Monate später.
Bruno Cassirer wurde am 12. Dezember 1872 in Breslau geboren. War die weit verzweigte Familie der Cassirers durch Handel und Industrie – ihnen gehörten unter anderem die Kabelwerke Oberspree (KWO) – zu beträchtlichem Reichtum gekommen, so widmeten sich die folgenden Generationen der Kunst und der Philosophie. Bruno Cassirer war gerade erst 26 Jahre alt, als er zusammen mit seinem Cousin Paul Cassirer von Max Liebermann 1898 zu den Gründungssekretären der Berliner Secession berufen wurde.
Die Cassirers führten nicht nur die Geschäfte der Künstlervereinigung, die sich von Beginn an gegen die wilhelminisch-konservative Kunstauffassung wandte. Mit Kunstverstand mischten sie sich in die aktuelle Kunstpolitik ein, und mit geschäftlichem Spürsinn setzten sie die französischen Impressionisten in der Berliner Kunstszene durch. Ihre Galerie in der Viktoriastraße, die von Henry van der Velde eingerichtet worden war, zeigte in der Eröffnungsausstellung Bilder von Liebermann, Degas und Meunier.
Ein Eifersuchtsdrama um eine gemeinsame Geliebte führte schließlich zum jähen Ende des gemeinsamen Wirkens der Cassirers. Bruno und Paul einigten sich, einander geschäftlich nicht in die Quere zu kommen. Paul führte den Kunsthandel fort und wurde später sogar Präsident der immer einflußreicher werdenden Secession. Bruno übernahm den Verlag und öffnete ihn auch für literarische sowie philosophische Werke. So brachte er 1900 auf Anraten eines weiteren Cousins, den Philosophen Ernst Cassirer, eine Arbeit Hermann Cohens heraus, der damals gerade Immanuel Kant wiederentdeckt hatte.
Überhaupt war Bruno Cassirers verlegerisches Programm weniger von literarischen Überzeugungen geleitet als von privaten Neigungen. Die ersten Romane des jungen Robert Walser brachte er heraus, weil sich dessen Bruder, der Zeichner und Illustrator Karl Walser, für ihn einsetzte. 1902 erschienen Christian Morgensterns „Galgenlieder“, die zum ersten Bestseller des elitären, von ökonomischen Nöten weitgehend freien Verlags wurden. Wenig später legte Cassirer das literarische Programm in Morgensterns Hände, der im Verlag unter anderem die Zeitschrift Das Theater herausgab.
Über die Verlagsarbeit hinaus verkehrten die beiden auch privat. In einem Brief Morgensterns an seinen Freund Michael Bauer heißt es über Cassirer: „Den ersten Tag, an dem ich ihn aufsuchte, beredete er mich gleich, ihn zu einem Trabrennen nach Weißensee (im Auto) zu begleiten, wo ich ihm vier Preise gewinnen half.“ Die Preise gewannen die Rennpferde des Stalles Klausner, benannt nach Cassirer erstem Rennpferd. Das Verhältnis von Verlag und Rennstall beschäftigte Morgenstern auch in einem Vierzeiler: „Ein wahrer Diomedes bist Du, nachgeboren / Du fütterst Deine Pferde mit Autoren / Mit mir, gerecht zu sein, war's freilich umgekehrt / Mir opfertest Du fast ein – halbes – Pferd“.
Der Trabrennsport, jene im Vergleich zum Galopprennsport ganz und gar nicht mondäne Art, Pferde gegeneinander um die Wette rennen zu lassen, war für Cassirer nicht irgendein Freizeitausgleich zum Verlegerdasein. Cassirer war von 1905 an dessen erfolgreichster Rennstallbesitzer und später auch dessen oberster Repräsentant. Zunächst in der Nähe von Falkensee, ab 1930 bei Templin in der Uckermarck, züchtete er Trabrennpferde in großem Stil. Sein Pferd Walter Dear gewann 1934 den „Prix d'Amérique“, das bis heute bedeutendste Trabrennen der Welt.
Auch in diesem Metier bewährte sich Cassirers Prinzip, bei seinen Projekten auf die gestalterische Kraft von Freunden zu vertrauen. Die Gebäude der Trabrennbahn Mariendorf, deren 1. Vorsitzender Cassirer ab 1920 war, waren einer der ersten großen Aufträge für den Architekten August Endell, der heute vor allem durch seine Gestaltung der Hackeschen Höfe bekannt ist.
In einer Festschrift zu Cassirers 60. Geburtstag schrieb Alfred Döblin über die merkwürdige Dreifelderwirtschaft des Verlegers: „Er treibt Verlag und Kunsthandel, gemildert durch Pferdezucht. Vom ersten verstehe ich wenig, vom zweiten weniger und vom dritten gar nichts. Aber das Ganze gefällt mir.“
Cassirers 60. Geburtstag lag nur wenige Monate vor der Machtübernahme der Nazis. Die Tage von Cassirers freiem Schaffen waren von da angezählt. Bis Dezember 1938 lebte Bruno Cassirer noch in Berlin, dann emigrierte er zusammen mit seiner Familie nach Oxford, wo er 1941 starb.
Heute sind es vor allem Noten wie die Wolfgang Koeppens und Alfred Döblins, die noch an Cassirer erinnern. Einerseits. Das andere Erbe ist die Trabrennbahn Mariendorf und das Gestüt Lindenhof, auf dem nach wie vor Traber gezüchtet werden.
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