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Zum Abschied ein Kotau

Vor ihrer Abreise aus Algerien ziehen die EU-Delegierten Bilanz: Die Lage ist gar nicht so schlimm und Einmischung tabu. Auch Cohn-Bendit macht mit  ■ Aus Algier Reiner Wandler

Eine Karikatur in der Tageszeitung Le Matin beschreibt treffend das Resümee des Besuchs der Delegation des Europaparlaments in Algerien: „Wenn es keine Unruhen gäbe, keine Hinterhalte und falsche Straßenkontrollen, Massaker, Erpressungen, Not, Arbeitslosigkeit, dann wäre Algerien ein ganz normales Land“, legte Zeichner Slim dem Delegationschef André Soulier zu dessen gestriger Abreise in den Mund.

Die Delegierten unternahmen keine Reise in Massakergebiete, sie trafen keine Vertreter der Verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) und erhielten keine Antwort auf die Frage nach dem Verbleib der über 2.000 Verschwundenen, deren Namen die belgische Abgeordnete Anne Andre Leonhard mit sich führte. Die algerische Regierung setzte sich an allen heiklen Punkten durch – und trotzdem zeigte sich die Delegation zum Abschluß der Reise zufrieden. Von „positiver Atmosphäre“ und „hilfreichen, offenen Gesprächen“ war die Rede. Algerien und Europa befänden sich erstmals auf dem Weg zu einer „echten Partnerschaft“, betonte Delegationsleiter Soulier gar. „Algerien braucht keine Richter, sondern Personen, die bereit sind zu helfen.“ Deshalb werde er die Europäischen Mitgliedsstaaten verstärkt zu einer Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus auffordern, erklärte der französische Konservative.

Am Dienstag wird der Auswärtige Ausschuß des Europaparlaments damit beginnen, die Gespräche der Delegation mit Vertretern der Regierung, Parteien, der unabhängigen Presse sowie Nicht-Regierungsorganisationen auszuwerten. Doch eines steht für Soulier bereits jetzt fest: „Es wird keine Einmischung und keine internationalen Untersuchungen geben.“

Das unbequeme Thema der verbotenen FIS strich Soulier auf Druck der algerischen Regierung mit einem theatralischen Auftritt von der Tagesordnung. Er zerriß einen Brief der Führung der islamistischen Partei, den er vom Präsidenten der Algerischen Menschenrechtsliga Abdenur Ali Jahia überreicht bekommen hatte. Ein Schreiben des ersten algerischen Präsidenten Ahmad Ben Bella, dessen Partei Demokratische Algerische Bewegung (MDA) ebenfalls verboten ist, ereilte das gleiche Schicksal.

Soulier hatte dabei selbst die Unterstützung des bündnisgrünen Europaabgeordneten Daniel Cohn-Bendit, der in den ersten Tagen des Besuches Kontakte zur FIS gefordert hatte. „Wenn wir mit der FIS reden wollen, können wir das jederzeit tun. In Europa gibt es Telefone und hier auch“, verteidigte der Bündnisgrüne überraschend Souliers Kotau vor der algerischen Regierung.

Auch Cohn-Bendit, der als Sonderberichterstatter beauftragt ist, der EU-Kommission eine Empfehlung abzugeben, wenn diese zur Unterzeichnung eines Assoziierungsvertrages mit Algier schreitet, lehnt nun eine Einmischung von außen ab. Er setzt auf eine Stärkung der Opposition, um so den „Demokratisierungsprozeß zu beschleunigen“. Das algerische Parlament müsse selbst auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen. Eine solche Arbeit könne die EU unterstützen, indem sie zusammen mit internationalen Nicht-Regierungsorganisationen „kritisch nachhakt, wenn die algerische Regierung im März ihren Menschenrechtsbericht bei der UNO vorlegt“.

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