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Restbestände der Massenvernichtung

Die Menschen verschwinden, die Orte verfallen, nur eine gewaltige Kühle bleibt als Atmosphäre zurück: Unter dem Titel „Der Architekt“ zeigt der belgische Künstler Luc Tuymans in der Galerie Gebauer Erinnerungsbilder zur NS-Zeit, über die sich Schnee gelegt hat  ■ Von Harald Fricke

In einem Dokumentarfilm über Albert Speer sieht man den Nazi- Architekten lachend im Schnee auf seinen Skiern sitzen. Seine Frau hat ihn in wackligen Super-8- Aufnahmen beim Wintersport gefilmt. Kurz zuvor war Speer zur Besichtigung der Konzentrationslager in Auschwitz gewesen. Noch vor der Abreise in den Skiurlaub schreibt er an Himmler im knappen Telegrammstil, daß den Häftlingen noch viel zuviel Platz zur Verfügung stünde.

Für den belgischen Maler Luc Tuymans ist Speers Geschichte zum Thema einer Ausstellung in der Galerie Gebauer geworden: „Der Architekt“ zeigt eine Reihe aus acht Bildern, auf denen sich die Dinge in blasse Farben auflösen, vereisen und unter dem gemalten Schnee verschwinden. Ein verödeter Eichenstumpf erinnert an Caspar David Friedrich, daneben hängt ein kleinformatiges Bild mit Fallschirmspringern, deren Körper schemenhaft zu erkennen sind, während ihre Gesichter in stechendem Orange zu brennen scheinen. Das ohnehin weißflimmernde Filmbild aus dem Speerschen Privatalbum hat Tuymans noch weiter reduziert, statt der Berglandschaft sieht man nur noch ineinander verkantete, blaustichig kalte Fläche. Das Gesicht des Architekten wird mit einem weißen Farbfleck abgedeckt und ausgelöscht – als hätte jemand einen Schneeball nach ihm geworfen und getroffen.

Obwohl Tuymans für die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit original Fotomaterial benutzt, wirken seine Arbeiten fast ephemer. Auf einem schwarz in grau verwaschenen Bild kann man „Himmler“ nur noch am Titel erkennen. Damit will Tuymans eine Schockikonographie vermeiden, die den SS-Führer dämonisiert: „Die Arbeit geht auf ein Zeitungsfoto zurück, auf dem man Heydrich an seinem Schreibtisch sah, im Hintergrund das Porträt von Himmler. Ich wollte das Bild aus dieser Inszenierung herauslösen und mich allein auf die Physiognomie konzentrieren. Deshalb sieht man jetzt, wie der Oberkörper beamtenhaft steif bleibt, während Himmlers Haltung zur Körpermitte hin völlig zusammensackt. Dieser Bruch hat mich mehr interessiert als die Hervorhebung der historischen Person.“

Auf diese Weise rücken Tuymans' Gemälde von dem Gegenstand ab, den sie nachbilden. Allein „KZ“ zeigt die Ansicht von Sachsenhausen mit den als Mahnmal eingemauerten Fassaden und Baracken. Auch in der Arbeit des 40jährigen Künstlers geht es darum, ob sich der Holocaust darstellen läßt. 1986 noch hatte Tuymans versucht, in Auschwitz eine Gaskammer vor Ort zu malen, mittlerweile beschränkt er sich darauf, Spuren der Erinnerung anzudeuten, „eine Atmosphäre, die geblieben ist“. Tatsächlich spürt man in jedem Raum der Galerie eine gewaltige Kühle, die von den Bildern ausgeht. Auf einer in fahlem Grün grundierten Leinwand tauchen abstrakte Winkel und Flächen auf – es sind die Umrisse einer Vitrine, in der die abgeschorenen Haare der Auschwitz-Häftlinge aufbewahrt werden.

Allein in der Brechung, im Verschieben von Realität ist für Tuymans heute noch ein Zugang zum geschichtlichen Material möglich: „Mir geht es nicht darum, Emotionen auf meine Malerei zu übertragen, eher schon liegt eine Strenge in den Bildern, mit der ich versuche, in den Kontext des Dargestellten einzudringen.“ Angesichts des allmählichen Verfalls der Gedenkstätten sind auch die Bilder nur noch Restbestände dessen, was sich ohnehin nicht vergegenwärtigen läßt, auch weil „nach dem Geschehenen nur noch Ambivalenz bleibt“, wie Tuymans meint.

Statt dessen geht es ihm inzwischen darum, die Zusammenhänge vor Ort wiederherzustellen. Deshalb ist für nächstes Frühjahr eine Ausstellung mit Tuymans-Zyklen zum Thema Judenvernichtung im Haus der Wannsee-Konferenz geplant. Dazu gehören vier Arbeiten, die unter dem Titel „Die Zeit“ 1988 entstanden und von einem schwarz überarbeiteten Heydrich- Porträt bis zu spätromantischen Landschaften reichen.

Für die Dauer der Präsentation will Tuymans eine Trennmauer in den Konferenzraum, wo die Endlösung beschlossen wurde, einziehen lassen, so daß man wie in einen Schlauch hineintreten muß, um die Arbeiten zu betrachten. Norbert Kampe, der Leiter des Hauses, hätte das Projekt gerne parallel zu einem Symposium über Holocaust und Erinnerung im Haus am Kleistpark realisiert, mit dem letzte Woche die Ausstellung „Malzeit“ von Ram Katzir abgeschlossen wurde (siehe taz v. 31.1.). Doch schon in den Galerieräumen funktioniert die Konfrontation zwischen der „Architektur des Wahns“, für die Speer bei Tuymans steht, und dem psychischen Druck der Erinnerung, der sich in den Bildern eingeschrieben hat. Auf ein Gemälde hat Tuymans allerdings verzichtet: „Our new quarters“ geht auf ein Motiv von Theresienstadt zurück. Dort wurden stilisierte Postkarten der Gebäude an die KZ-Häftlinge verteilt, damit sie ihren Verwandten ein Bild von den Unterkünften schicken konnten. Weing später wurden die meisten erneut umgesiedelt – nach Auschwitz.

Luc Tuymans: „Der Architekt“. Bis 11.4., Di.–Sa. 12–18 Uhr, Galerie Gebauer, Torstraße 220.

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