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Der fürchterlichste Tag des Königs

Serie: Orte der Revolution (Folge 8): Am Stadtschloß muß sich der Monarch vor den Revolutionsopfern verneigen, die in einem zweistündigen Marsch vorbeigetragen wurden  ■ Von Jürgen Karwelat

Der Begräbniszug mit den 183 gefallenen Barrikadenkämpfern wurde nach dem Beschluß des Beerdigungskomitees auf dem Weg vom Gendarmenmarkt zum Friedrichshain über den Schloßplatz am Stadtschloß vorbei geführt. König Friedrich Wilhelm IV. hatte befürchtet, daß man von ihm die Teilnahme am Begräbniszug fordern würde. Für diesen Fall hatte er schon aus Angst vor Anschlägen den Auftrag gegeben, zu seiner Sicherheit die zuverlässigsten Männer der Bürgerwehr auszusuchen. Die Forderung, am Zug teilzunehmen, wurde dann aber nicht gestellt. Der König sah sich aber gezwungen, den toten Revolutionären dadurch Ehre zu erweisen, daß er den Trauerzug vom zweiten Portal des Schlosses (gegenüber dem ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude gelegen) grüßte. Dort hatte er zwischen zwei schwarzen Fahnen die schwarzrotgoldene Fahne aufhängen lassen. Über zwei Stunden dauerte es, bis der Zug am Schloß vorbei war. Der Maler Adolf Menzel, der die Aufbewahrung der Toten in einem unvollendeten Bild festgehalten hat, beobachtete die Szene und stellte fest, daß es wohl der fürchterlichste Tag im Leben des Monarchen gewesen sein mag. Friedrich WilhelmIV. mußte sich, um das preußische Königtum zu retten, vor den toten Revolutionären verneigen. „Aller Augen waren auf den Balkon gerichtet, welcher nach den Zimmern des Königs führt; mit der gespanntesten Erwartung harrte man darauf, ob der König erscheinen, ob er die Leichen der im Kampf gegen ihn Gefallenen begrüßen werde.

Schon war die Spitze des Zuges unter dem Balkon, und der König war noch nicht erschienen, schon murrte man im Volk, schon ließen sich manche Redensarten hören, welche den kaum geschlossenen Frieden wieder zu zerstören drohten, da öffneten sich plötzlich die Flügeltüren. Der König erschien auf dem Balkon, als eben die ersten Särge vorübergetragen wurden. Er war in Generalsuniform, und grüßend nahm er den Helm ab, als die Särge kamen. Der König sah angegriffen aus. Die Minister und Adjutanten umgaben ihn, auch sie blieben natürlich entblößten Hauptes. Zwei große schwarze Trauerfahnen wurden zu beiden Seiten und eine dreifarbige etwa in der Mitte des Balkons grüßend herabgeneigt, als der Zug ankam.

Die Särge wurden in einzelnen Abteilungen getragen. Jedes Mal, wenn eine derselben vorüber war, trat der König in seine Zimmer zurück, kam aber auf den Balkon, wenn die nächste Abteilung der Särge vorbeigetragen wurde.“

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