: Den Genossen war sie zu französisch
■ Sibylle Gerstner hatte viele Berufe – nun hat sie außerdem noch eine Ausstellung
Es gibt sogar einen Oscar für dieses Fach. Trotzdem fällt der Ruhm eines Films eher noch auf Kulissenbauer oder Komponisten als auf die Kostümbildner. Historienschinken, Science-fiction oder moderner Problemfilm: Sie müssen den Helden und Heldinnen die nötige sichtbare Authentizität verleihen, damit sie dann in ihrer Umgebung auch selbstverständlich erscheinen.
Im Erdgeschoß des Filmmuseums Potsdam, in dem Raum, der für wechselnde Ausstellungen vorgesehen ist, steht zwischen den Bildern eine zierliche Frau mit braunen Locken. Ihre ausdrucksstarken, dunklen Augen liegen ruhig auf der Rednerin, die mit huldvollen Worten die Ausstellung über Leben und Werk der Sibylle Gerstner, Kostümbildnerin, Malerin und Schriftstellerin, eröffnet. Die Bilder allein verraten nichts über das abenteuerliche und schwere Leben der Künstlerin.
Im Gegenteil, die farbintensiven Erlebnisskizzen in Öl, die impressionistisch angehauchten, mit leichtem Pinsel hingetupften Aquarelle und die Frauenstudien, besonders das in leuchtenden und Nachtfarben gehaltene, coole und elegante Frauenporträt „Blaue Stunde“ verbreiten Urlaubsstimmung und Sorglosigkeit. Geboren wurde Sibylle Gerstner in Breslau, ihr jüdischer Vater starb im Konzentrationslager. Als sogenannter „Mischling 2. Grades“ mußte sie in Deutschland mehrmals die Kunsthochschulen wechseln, um von den Nazis nicht entdeckt zu werden, bis sie Ende der 30er Jahre über Österreich nach Frankreich emigrierte. Während ihrer Kunststudien arbeitete sie als Modejournalistin, ihre ästhetischen Vorstellungen wurden geprägt von den Erfahrungen und Eindrücken in Frankreich.
Als sie Anfang der 50er zurück nach Deutschland kam, bewarb sie sich bei der DEFA als Kostümbildnerin und entwarf Kostüme für den DDR-Propagandafilm „Frauenschicksale“ von 1952 und für „Gefährliche Fracht“ von 1954. Ihre weitere Beschäftigung wurde jedoch, so will es die Legende, von einem konkurrierenden Kostümbildner vereitelt.
Sie gründete 1956 die engagierte Kunst- und Modezeitung Sibylle, mußte ihren Posten als Chefredakteurin und künstlerische Leiterin aber Anfang der 60er Jahre aufgeben: Die Zeitung wurde den Genossen unter Gerstners Leitung „zu französisch“ für die Genossen. Danach arbeitete sie für Fernsehproduktionen wie beispielsweise „Kleiner Mann, was nun?“ mit Jutta Hoffmann von 1967, „Die Brüder Lautensack“ mit Angelika Domröse von 1973 oder „Abschied vom Frieden“ mit Manfred Krug von 1979. Aber ihre Kreativität scheint unerschöpflich.
Rührendes Schicksal, leuchtende Farben
Unter dem Pseudonym „Sibylle Muthesius“ veröffentlichte sie Anfang der 80er Jahre das Buch „Flucht in die Wolken“, in dem sie erschütternd und anrührend das Schicksal ihrer psychisch kranken Tochter beschreibt, die sich mit 17 das Leben nahm. Die lakonische, aber intensive Sprache in ihrem Buch vermittelt Fassungslosigkeit und Schmerz, das Aufschreiben ihrer Gedanken schien ihr jedoch zu helfen, mit der Tragödie fertig zu werden.
Bei der Vernissage zur Ausstellung, die mit Filmen, Bildern und Titelblatt- und Kostümentwürfen aufwartet, herrscht respektvoll- gedämpfte Stimmung. So bezaubernd Sibylle Gerstners Stoffideen sind und so leuchtend ihre Farbauswahl als Malerin Sibylle Boden, so schwer wiegt die Kenntnis ihrer zeitweise tragischen Geschichte. Aber die kleine Frau steht unerschütterlich neben der Museumsvertreterin und lauscht dem Lobesgesang auf sich selber, als würde über eine andere Person gesprochen, eine, die vielleicht nicht mehr Glück, aber weniger Leid im Leben hatte. Jenni Zylka
Filmmuseum Potsdam, 3.4.–7.6. 98, Di.–So. 10–18 Uhr, Marstall, 14467 Potsdam, Tel.: 0331-718126
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen