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PDS-Wähler beschummeln Demoskopen

■ PDS schneidet bei Befragungen stets schwächer ab als bei Wahlen. Meinungsforscher halten mit geheimer „Projektion“ dagegen

Berlin (taz) – Bescheidene 9 Prozent hatte ihm die Leipziger Volkszeitung vorausgesagt. Am Abend der Wahl zum Oberbürgermeister wurden dann stolze 24 Prozent für Lothar Tippach ausgezählt. Der PDS-Kandidat hatte somit neben dem Konkurrenten von der CDU auch die Demoskopen besiegt. Die tun sich generell schwer mit der PDS. Obwohl der Partei eine festgefügte Wählerklientel zugeschrieben wird, können Wahlforscher das tatsächliche Potential nur schwer bestimmen: Bei den Wahlen in Ostdeutschland erhalten die Sozialisten stets mehr Stimmen, als repräsentative Befragungen erwarten lassen.

„Es gibt wohl eine gewisse Scheu, sich zur PDS zu bekennen“, erklärt Willy Koch vom Leipziger Institut für Marktforschung. In der Tat bereiten die Anhänger der Gysi-Partei den Demoskopen Probleme. Nicht wenige geben sich bei Umfragen als noch Unentschiedene, Nichtwähler oder gar Anhänger einer anderen Partei aus. Solche Falschaussagen machen es den Wahlforschern schwer, die Ergebnisse der PDS richtig vorherzusagen. Weder Struktur noch Größe der Schwindler und Schweiger ist bisher ermittelt. „Ob das überzeugte Stalinisten sind, die Meinungsforschung für kapitalistischen Kokolores halten, oder unentschlossene Mitläufer, wissen wir nicht“, ist auch Matthias Jung ratlos, Leiter der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen.

Jörg Scherer, Diplompsychologe mit dem Fachgebiet politische Psychologie, erklärt bewußte Falschaussagen bei Umfragen als Phänomen der Anpassung an die Mehrheit. „In diesem Fall meint Mehrheit nicht das Dorf oder die Nachbarn, sondern die Medien.“ Die veröffentlichte Meinung sehe Sympathie für die PDS als unerwünschtes Verhalten. „Der einzelne möchte nicht gegen diese Meinung stehen. Er schützt sich durch eine falsche Angabe – ein Fluchtreflex“, erläutert Scherer. So nennen PDS-Sympathisanten bei der Sonntagsfrage lieber Grüne oder SPD, seltener schon die CDU. Zu weit entfernt scheint die selbsternannte Partei der Einheit von der SED-Nachfolgerin. „Man springt nicht zur totalen Gegenposition. Der Befragte nennt lieber eine vermeintlich harmlose Partei“, berichtet der Polit-Psychologe Scherer.

In Westdeutschland registrierten die Demoskopen statistisch relevante Falschaussager nur einmal. 1989 errangen die „Republikaner“ bei Europa- und Kommunalwahlen in Baden-Württemberg zweistellige Ergebnisse. Niemand hatte das vorhergesehen. Erst 1991 bekannten sich die Wähler der Reps in Umfragen. Die Asylrechtsdebatte und die begleitende „Das Boot ist voll“-Kampagne, so vermuten Meinungsforscher, habe es den Rechtsradikalen leichter gemacht, ihre Ansichten auch offen zu äußern.

Im Berliner Wahlkampfbüro der PDS betrachtet man die zu niedrigen Umfrageergebnisse mit Sorgen. „Das zieht uns tendenziell runter“, fürchtet PDS-Wahlkämpfer Harald Pätzold. „Subjektive Repressionserfahrungen aus den Wendejahren“ seien ein Grund, so Pätzold, daß PDS-Wähler bei Umfragen schweigen.

Damit die Schweiger Umfrage- Ergebnisse nicht völlig verzerren, bieten große Institute wie die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen neben den tatsächlichen Umfrageergebnissen immer auch eine „Projektion“ an. Darin werden die erfragten Daten mit Erfahrungswerten verrechnet. Eine gute Projektion gilt als Geheimrezept, entsprechend ungern wird die Methode der Rechnung erklärt. Es handelt sich um einen komplizierten Mix: Umfrageergebnisse gehören dazu, lange Trends, die Ergebnisse vorheriger Wahlen und Einschätzungen der politischen Stimmung.

In Mannheim vertrauen die Wissenschaftler der „Rangfrage“. Hier ordnen die Befragten den Parteien Sympathiewerte von +5 bis -5 zu und müssen sich nicht zu einer Gruppierung bekennen. Für die Landtagswahlen in Sachsen- Anhalt in zehn Tagen ergibt die Umfrage 13 Prozent für die PDS. In der Projektion sagen die Mannheimer Forscher den Sozialisten aber 17 Prozent voraus. Ob sie mit dieser Prognose den „Schweigern“ ein Schnippchen schlagen oder die PDS immer noch zu niedrig einschätzen, weiß man aber auch in Mannheim erst am Wahlabend.

Die PDS geht mit dem Phänomen der nicht bekennenden Wähler auf ganz eigene Weise um. Vor der letzten Bundestagswahl sollte ein Werbespot im Fernsehen genau diese Wähler zum Urnengang motivieren. In dem Filmchen kreuzt Gregor Gysi in der Wahlkabine PDS an und lädt den Zuschauer ein: „Trauen Sie sich doch. Es sieht doch keiner.“ Robin Alexander

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