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Zwischen den Hooligan-Gruppen herrscht Krieg

■ Ein argentinischer Richter stoppt vorläufig den Ligabetrieb, weil die Sicherheit bei Fußballspielen offensichtlich nicht mehr garantiert ist. Die Gewalt in den Stadien forderte seit 1980 schon 53 Tote

Buenos Aires (taz) – Eine Horde argentinischer Fußballfans mit nackten Oberkörpern auf der Tribüne. Sie wedeln mit den Trikots ihres Vereins und gröhlen, was die Kehle hergibt: “...y vamos a matar – und wir werden töten.“ Schnitt. Der Fernsehschirm färbt sich schwarz, und es erscheint das Wappen des Argentinischen Fußball-Verbandes (AFA). Belehrend tönt es aus dem Off: “Wenn sie dir sagen, du sollst singen, wir werden töten, singe nicht, wir werden töten, weil sie gehen dann raus und töten tatsächlich.“ Auf allen Fernsehkanälen im Land werden Spots wie dieser derzeit gesendet. Denn der argentinische Fußball macht momentan weniger durch Ausnahmespieler oder traumhafte Kombinationen von sich reden als vielmehr wegen seiner gewalttätigen Fans auf den Rängen.

Wegen denen hat am Mittwoch der Richter Victor Perrotta in der Hauptstadt Buenos Aires vorläufig die Meisterschaft abgepfiffen. Die Stiftung „Fair Play“ hatte schon im Februar gedroht, die Meisterschaft wegen der Gewalttätigkeiten auszusetzen. „Wegen fehlender Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen“, so Perrotta, wird vorläufig kein Ligaspiel mehr ausgetragen. Erst wenn die Verantwortlichen den Richter überzeugt haben, daß die Sicherheit aller Beteiligten wieder garantiert ist, will er wieder Spiele zulassen.

Die Entscheidung ist für das Fußball-Land eine Bombe. An den Spieltagen knattern sonst in sämtlichen Radios von Busfahrern und Nachtwächtern die Liveübertragungen der Spiele, in der Fußgängerzone drücken sich Geschäftsmänner mit Anzug und Krawatte ein billiges Transistorradio ans Ohr, um mitfiebern zu können.

Der Präsident der AFA, Julio Grondona, war zunächst sprachlos und machte sich schnell aus dem Staub, als ihm eine Horde Kamerateams auflauerte, um ein Statement zu erhaschen. Theoretisch kann der Oberste Gerichtshof das Urteil noch aufheben, aber selbst Grondona rechnet damit, daß Argentinien „mindestens eine Woche lang“ ohne Fußball leben muß. Das heute abend stattfindende WM-Testspiel der Nationalmannschaft gegen Bosnien ist allerdings nicht gefährdet, da das Urteil nur Ligaspiele betrifft.

Die Entscheidung, die argentinische Meisterschaft vorläufig auszusetzen, folgt einem weiteren schwarzen Wochenende, an dem das Kapitel Fußball und Gewalt in Argentinien fortgeschrieben wurde. In Mar del Plata erlitt ein Mann im Stadion einen Herzinfarkt, als die Polizei in eine Menge randalierender Fußballfans schoß. In Buenos Aires wurden zwei Fans des Rekordmeisters River Plate auf dem Weg zum Stadion von Fans der rivalisierenden Mannschaft Independiente beschossen. Beide hatten noch Glück, denn die Kugeln verletzten nicht die Knochen. Eins der Opfer konnte das Krankenhaus bereits verlassen. Der Überfall war geplant und vermutlich ein Racheakt – letztes Jahr hatten River-Fans einen Independiente-Fan erschossen.

Gegen die „Barra Brava“, wie in Argentinien gewalttätige Fans genannt werden, sehen die europäischen Hooligans aus wie Meßdiener. Die Mehrheit der Barras Bravas lebt in den villas miserias, den ständig wachsenden Armensiedlungen der Städte, und verdient sich sein Auskommen mit Kleinkriminalität: Einbrüche, Überfälle, Autoklau. Von klein auf haben sie verinnerlicht, daß nur der Stärkere überlebt, nur der zu etwas kommt, der sich durchsetzen kann. Barra Bravas schlagen auch schon mal vor dem Stadion Leute zusammen, um ihnen die Eintrittskarte abzunehmen. Nach einem verlorenen Spiel ließen im vergangenen Jahr River-Plate-Fans ihren Frust an den Fahrgästen eines Zuges aus, mit dem sie nach Hause fuhren. Sie zogen die Notbremse und erleichterten ihre Mitreisenden um die Wertsachen.

Zwischen den einzelnen Barras Bravas herrscht Krieg. Als Boca Juniors vor wenigen Jahren 0:1 gegen den Erzrivalen River Plate verlor, kam es zu einer Schlacht zwischen den Fans beider Klubs, bei der ein River-Anhänger getötet wurde. „Empatamos – wir haben ausgeglichen“, sprühte darauf jemand an das Stadion der Boca Juniors. Die Auseinandersetzungen der Barras Bravas forderten seit 1980 bereits 53 Menschenleben, rechnete „Fair Play“ vor.

Selbst die Vereine sind nicht sicher vor ihren eigenen Barras Bravas, die kostenlose Eintrittskarten, Geld oder einfach nur Trikots erpressen. Nationaltrainer Daniel Pasarella wurde von Fans nach dem Training mit dem Messer bedroht und mußte sich mit hundert Pesos (ungefähr 180 Mark) freikaufen. David Pintado, Präsident von River Plate, erhielt im vergangenen Jahr Morddrohungen. Doch noch behaupten die Vereine aus Imagegründen, sie hätten keine Barras Bravas. Und erst recht gibt kein Klub zu, daß den gewalttätigen Fans unterderhand kostenlose Karten zugesteckt werden. Schließlich stellen die Barras Bravas auch die treuesten Anhänger. Sie organisieren ganze Zuschauerblocks und sorgen für Stimmung. Ihre Mitglieder singen die Lieder vor, hängen Fahnen auf und feuern die Mannschaft an. Erst kurz vor Spielbeginn klettern sie auf die enge Fantribüne, bis dahin bleibt die leer, und jeder weiß, daß er dort besser keinen Fuß hinsetzt. Ingo Malcher

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