Mon Dieu Mondial: Geht, ihr Blauen!
■ Die Angelegenheit ist ernst – aus dem Leben einer WM-Fernsehgemeinschaft
Nicht nur Fans und Mannschaften reisen jetzt kreuz und quer durchs Land, auch meine Fernsehgemeinschaft tut es: Während wir die letzte Europameisterschaft noch wochenweise auf zwei Haushalte verteilten, haben wir für den Coup du Monde Team-Patenschaften eingeführt. Je nach Neigung haben sich die Teilnehmer, die außerhalb dieser großen Fußballereignisse nur auf Geburtstagsfeiern und Massenpicknicks zusammenkommen, eine Nationalmannschaft ausgesucht, zu deren Spielen sie in den folgenden Wochen zu sich nach Hause laden. So kommt es, daß alle Partien mit deutscher Beteiligung von den Eheleuten Bester- Gunske ausgerichtet werden, Daten-Dieter für die Japaner zuständig ist, der Fairneß halber aber auch die Niederlande übernommen hat, und Italiens Auftritte von einer Münchner Exilantenwohngemeinschaft betreut werden. Frau Geithe konnte sich nicht qualifizieren, da sie einen Fernseher mit ungenügend großem Bildschirm besitzt. Ihrem Einwand, für die kleinen Mannschaften (Chile, Südkorea) sei das Gerät doch geradezu ideal, wurde nicht stattgegeben. Die Angelegenheit ist zu ernst.
Was mich betrifft, so habe ich im festen Glauben an meinen WM-Tip und dem Bestreben, mir auf lange Sicht weite Wege ersparen zu können, meinen Fernseher mit einer hübschen Trikolore aus blau-weiß-rotem Kreppapier geschmückt. Es gibt Käse und leckeren Chablis: Allez, les bleues!
Zum gemeinsamen Gucken gehört natürlich mehr als die lautstarke Begleitung gewisser Vorgänge während der Spiele (“Der markiert doch nur! Der soll wieder aufstehen!“) oder die Fachsimpelei in der zweiten Halbzeit (“Wenn sie jetzt nicht nervös werden, können sie es schaffen“). Zusätzlich gilt es, sich auch in demokratischem Verhalten zu üben – der Gastgeber ist nämlich nicht berechtigt, Eurosport einzuschalten, wenn die Mehrheit der Mitgucker bereit ist, Thomas Warks Gewürge zu ertragen, und außerdem darauf besteht, jedwede öffentlich-rechtliche Kabaretteinlage aus dem Beiprogramm bei unverminderter Lautstärke laufen zu lassen.
Vor allem aber bedeutet gemeinsames Gucken, an einer Reihe von bewährten Ritualen festzuhalten, etwa der Wahl des dümmsten Torwarts, des bösartigsten Schiedsrichters sowie der häßlichsten Trikots, die je eine Mannschaft getragen hat (Sieger bei der WM 1994: Deutschland, knapp vor Rumänien). Es heißt allerdings auch, bestimmte Benimmregeln immer wieder neu einzuführen. Zum Beispiel muß die Fernsehgemeinschaft alle zwei Jahre daran erinnert werden, daß niemand Extrapunkte erhält, der zuerst „Abseits!“ gebrüllt hat. Aber das ist nur eine Frage des Trainings.
Die größten Schwierigkeiten liegen ohnehin woanders. Diesmal war es das Eröffnungsspiel: Bis zuletzt war eine erbitterte Debatte darüber geführt worden, ob die Awals Brasilien- Gastgeber sein dürften, da Frau Awal hochschwanger ist und den Aufregungen womöglich nicht gewachsen. Frau Awal rechnet jedoch erstens damit, daß Brasilien Weltmeister wird, und will zweitens – falls ihr Sohn, der ohnehin eines Tages mit seinem Fußballergehalt den Eltern ein herrliches Leben ermöglichen werde, vor dem Endspiel zur Welt kommen wolle – an der geplanten Hausgeburt festhalten.
Nicht wenige von uns hofften daher auf einen klaren Sieg der Schotten. Andererseits echauffierte sich Frau Awal beim 1:1 dermaßen, daß Daten-Dieter verlangte, die Telefonnummer der Hebamme in sein Mobiltelefon einprogrammieren zu dürfen. Das wird noch was. Carola Rönneburg
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