piwik no script img

„Abgeschreckt von der Polizeigewalt“

■ „Eskalation im Vorfeld“ als Begründung für wenig Gelöbnisgegner

Am Tag nach dem öffentlichen Gelöbnis warfen die Veranstalter der Protestkundgebung der Polizei vor, das gerichtlich zugestandene Demonstrationsrecht mißachtet zu haben. Bündnis90/Die Grünen wollen die Vorgänge im parlamentarischen Innenausschuß beraten. Die Kampagne gegen Wehrpflicht will rechtliche Schritte einleiten. Zugleich wurde die Frage diskutiert, warum weit weniger Menschen an der Protestkundgebung teilnahmen, als auch die Veranstalter erwartet hatten.

Die Kampagne gegen Wehrpflicht hatte im Vorfeld über 5.000 Demonstranten erwartet. Das Gelöbnix-Bündnis meldete zwar 4.000 TeilnehmerInnen, nach Schätzungen nahmen allerdings nur rund 1.500 Menschen an der „Gelöbnix“-Kundgebung teil. Die geringe Zahl der Teilnehmer ist für Renate Künast zwar „nicht schön“, aber vor allem der ungünstigen Zeit der Gegenveranstaltung am frühen Nachmittag geschuldet, die Berufstätige von vornherein ausgeschlossen habe. Außerdem habe die von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) im Vorfeld betriebene „Eskalation“ Menschen von einer Teilnahme abgehalten, vertritt die Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Die Grünen.

„Allein das Wissen, daß es dort kompliziert werden könnte und man mit rabiaten Polizeibeamten konfrontiert wird, hat abgeschreckt.“ Die „aufgerüstete und auf Konfrontation eingerichtete Polizei“ habe keine Friedensfest- stimmung aufkommen lassen, sondern das „Gefühl einer Behinderung“, bei der man sich „unwohl“ fühlen mußte, sagt Renate Künast.

Daß die Angst vor einer Eskalation aus dem Kreis der TeilnehmerInnen selbst eine Rolle gespielt habe, um gleich daheim zu bleiben, wird dagegen von Friedensaktivisten nicht ausgeschlossen. Diese Frage hat auch bei den Vorbereitungstreffen eine Rolle gespielt. So hätten einige auf das Gelöbnis 1996 verwiesen. Damals, so die Bewertung, sei es auch durch die Eskalation von Gelöbnisgegnern zu gewälttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.

Viele seien wegen der von „Schönbohm inszenierten Gewaltfrage weggebleiben“, glaubt dagegen Ralf Siemens von der Kampagne gegen Wehrpflicht. Andere seien durch die massiven Absperrungen der Polizei überhaupt nicht zum Veranstaltungssort vorgedrungen. Er hat dennoch rund 3.000 TeilnehmerInnen gezählt. Eine Gewöhnung an Gelöbnisse und Uniformen in Berlin sei aus der Zahl der Demonstranten jedenfalls nicht herauszulesen.

Der bündnisgrüne Bundestagskandidat Christian Ströbele will dagegen nicht ausschließen, daß auch die ständige Anwesenheit von Uniformen im Stadtbild den Protest „abgeschliffen“ habe.

Der Sprecher des PDS-Landesverbands, Axel Hildebrandt, sieht dafür allerdings nicht den geringsten Anlaß und bewertet das Bündnis „Gelöbnix 98“ als sehr erfolgreich. Verglichen mit dem Gelöbnis vor zwei Jahren am Schloß Charlottenburg habe sich die Teilnehmerzahl sogar verdoppelt. Gerd Nowakowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen