: Die Bürgerrechtler quälen sich
■ Wie Bürgerrechtler auf die Dienste von Stasi-Mitarbeitern als heutige Informanten des Berliner Verfassungsschutzes reagieren
Berlin (taz) – Für Jürgen Fuchs ist die Sache klar. Der Schriftsteller, den die Staatssicherheit in den 70er Jahren bespitzelte, den die DDR-Behörden inhaftierten und schikanierten, ist über die Verpflichtung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter als Informanten des Berliner Verfassungsschutzes empört.
Der Vorgang zeige, daß die Verantwortlichen „fast nichts begriffen“ hätten: „Die Menschenrechtsverletzungen, die von der Stasi ausgingen – ich verweise nur auf die widerlichen Zersetzungsmaßnahmen und den dort praktizierten IM-Einsatz – werden offenbar als normale Methoden in den Diensten angesehen.“
Mit der Anwerbung ehemaliger Stasi-Spitzel sind für Fuchs erneut „mißbrauchte Menschen“ verpflichtet worden. Den Akteuren beim Landesamt für Verfassungsschutz warf er „Unempfindlichkeit und Hochmut“ vor. Sie täten so, als hätten sie mit der Vergangenheit der angeworbenen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter „nichts zu tun“. Im Gegensatz zum Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), der gestern nach der Sitzung des Verfassungsschutz-Auschusses im Abgeordnetenhaus personelle Konsequenzen ausschloß (siehe nebenstehenden Bericht), plädierte Jürgen Fuchs für eine „breite und harte Debatte“.
Schwerer als der parteilose Fuchs tun sich ehemalige Bürgerrechtler, die 1996 in die CDU eintraten. Angelika Barbe, zu DDR- Zeiten Mitbegründerin der Ost- SPD und heute christdemokratische Direktkandidatin im (Ost)Berliner Wahlkreis Lichtenberg/ Friedrichshain, hält die Verpflichtung der Stasi-Mitarbeiter zwar für „absolut verwerflich“. Zugleich nahm sie Innensenator Schönbohm in Schutz. Sie könne sich nicht vorstellen, daß ihr Parteikollege von der Anwerbung durch den Verfassungsschutz gewußt habe.
Trotzdem beschleicht die 48jährige ein ungutes Gefühl: „Die Verpflichtung von Stasi-Mitarbeitern als V-Männer kann eine demokratisch kontrollierte Institution wie die des Verfassungsschutzes aushöhlen.“ Am liebsten sähe es Barbe, würden generell alle V-Leute überprüft. Stelle sich heraus, daß jemand eine Stasi-Vergangenheit habe, müsse der Dienst den Kontakt „sofort“ abbrechen.
Der Theologe Erhart Neubert, der vor zwei Jahren ebenfalls zur CDU ging, hält sich mit einer Einschätzung zurück. „Pauschal ist ein solcher Vorgang sehr schwierig zu bewerten“, sagte er zur taz. Der heutige Mitarbeiter der Berliner Gauck-Behörde gibt selbstkritisch zu, daß er „vor fünf Jahren als typisch ostdeutscher Moralist eine andere, vielleicht auch schnellere Antwort gegeben hätte“.
Vom „politischen Gefühl“ sträube sich ihm „zwar das Gefieder“, wenn er die jetzige Affäre in Berlin betrachte. Ob aber zur Verhinderung von Anschlägen oder zur Terrorbekämpfung auf einstige Stasi-Mitarbeiter zu verzichten sei, darüber wolle er nicht richten. „Das“, sagt Neubert, „ist am grünen Tisch doch nicht zu entscheiden.“ Severin Weiland
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