Abschied vom „Mann, der Ahnung hat“

Wenn das ZDF heute abend nach 28 Jahren die allerletzte Derrick-Folge und -Rede ausstrahlt, wird in der Zentrale des einzigen deutschen Derrickfanclubs besinnlich getrunken und diskutiert – wie immer. Eine Einstimmung  ■ Von Stefan Kuzmany

Saukalt weht der Wind durch die Republik, aber nicht durch das Neckartal. Die Zugezogenen wollen gar nicht verreisen, so schön ist die Aussicht aus den Fenstern der Gemeinde Neckarelz, wenn die Sonne durch die rotbraunen Blätter spielt. „A bissle traurig is ma schon“, sagt Markus Nohe und stellt eine Cola light auf den blumengeschmückten Glastisch.

Der 1975 geborene BWL-Student sitzt auf einem weißen Ledersessel im Wohnzimmer des Reihenhauses seiner Eltern und erinnert sich. Wenn die Freunde ihn zum Ausgehen überreden wollten, war Markus immer standhaft. „Nein, hab' ich gesagt, heut' bleib' ich daheim. Heute kommt eine neue Derrick-Folge.“ „Ganz bewußt“, sagt er heute, habe er sich für Derrick entschieden. Das Besondere an Derrick, das Einzigartige? „Eine Krimiserie, die auf ganz andere Weise gedreht wird als andere Krimiserien, mit Niveau und einer Person, die es richtig anschaubar macht.“

Das Privileg des Anblicks der ZDF-Krimireihe mußte sich der 2. Vorstand des „1. Derrickfanclubs Deutschland/Baden“ in jungen Jahren hart erschleichen: Eigentlich hätte er um acht schon im Bett sein sollen – der kleine Markus tat jedoch nur so, krabbelte unters Sofa, schaute sich von dort aus die gesamte Episode an und nahm dafür den anschließenden Ärger mit seinen Eltern gerne in Kauf. Einmal hat auch eine besorgte Lehrerin daheim angerufen, weil Markus, der Grundschüler, Derrick als seine Lieblingssendung bezeichnet hatte. Zwei Schulfreunde verstanden ihn da schon besser: Später, als Teenager, wenn die anderen am Ende der Party in der Ecke lagen, zogen sich Markus, Daniel Landenberger und Steffen Rauhut noch ein Derrick-Video rein. Die anderen haben sie ausgelacht: „Aber ich hab' gesagt: Lacht ihr nur.“

Heute sei manch einer ein wenig neidisch auf die mediale Gefragtheit des Trios, immerhin Clubvorstand des einzigen deutschen Derrickfanclubs. Das Radio will ein Interview, der Typ von der Zeitung sitzt auf dem Sofa, und das ZDF hat sich auch schon angemeldet, wenn heute im Haus von Markus Nohes Bruder die letzte Derrick- Folge von fünfundzwanzig Clubmitgliedern betrachtet wird. Einige werden sich eine Derrick- Brille dazu aufsetzen und vielleicht das clubeigene Derrick-T-Shirt tragen, das den scheidenden Oberinspektor mit gezückter Schußwaffe zeigt. Vielleicht sind sie alle ein wenig geknickt, wie Nohe befürchtet. Die Dame vom ZDF jedenfalls war ein bißchen pikiert: Das höre sich ja nicht besonders spannend an. Ob die Clubmitglieder nicht Szenen nachspielen und sich ein bißchen wie Derrick verkleiden könnten, wenn schon das Fernsehen vorbeikommt? Markus Nohe wird einige Szenenfotos aus der Serie, die ihm der zuständige ZDF-Redakteur Claus Legal zugeschickt hat, größer kopieren und an die Wand hängen, vielleicht das, auf dem Derrick von hinten ins Leere auf eine Frau einredet – „das ist ganz typisch für ihn“. Na, das sei doch schon ein Anfang, habe die Dame gesagt. Aber Nohe will nicht so recht. „Das ist ja hier kein Filmstudio. Wunder, was die von uns erwarten.“

Nohe und seine Clubkollegen werden es so halten wie immer: die Serie betrachten, ein wenig trinken und darüber diskutieren, was vielleicht hätte anders oder besser gemacht werden können. Sie werden – im großen und ganzen – wieder zufrieden sein mit der Ermittlungstechnik von Stephan Derrick und Harry Klein, die sie nun schon seit Jahren verfolgen. Aber sie machen daraus keine Show, und auch das Derrick-Kultgehabe ist Nohe eher zuwider: „Das ist wie bei den Schlagern. Die wollte früher niemand hören, und heute hängen sie alle auf den Schlagerpartys herum.“ Auch mit Derrick wolle man jetzt nur Profit machen. Die zahlreichen Technoversionen der Titelmelodie hat er sich nie angehört, und Derrick-Tassen, -Uhren, -Teller oder auch nur -Poster sucht man bei ihm vergeblich.

Mit Merchandising und künstlicher Derrick-Hysterie will der „1. Derrickfanclub“ nichts zu tun haben: „Hauptsache, wir haben unseren Spaß dabei.“ Und so bekommen die knapp sechzig Mitglieder, vom Zahnarzt bis zum Fabrikarbeiter, ihr T-Shirt zum Selbstkostenpreis von zehn Mark.

Es geht ja nicht ums Geld, sondern darum, wie der Clubvorstand in einem Handzettel formuliert hat, „die Serie Derrick den Leuten zu verstehen zu geben. Dadurch veranstalten wir in einem gewissen Zeitraum Videoabende, Derrick-Partys, Grillabende, gemeinsame Fahrten zu irgendwelchen Veranstaltungen, Besuch bei Talkshows, Beiwohnen von Drehtagen sowie den Austausch von Infos.“ Die meisten Mitglieder sind Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren, einmal hat auch ein 63jähriger angerufen – „aber der hat sich dann nicht mehr gemeldet“.

Die Gründung des „1. Derrickfanclubs Deutschland/Baden“ im September 1997 folgte der Not. Die drei begeisterten Derrick- Konsumenten Nohe, Landenberger und Rauhut wollten sich einem Fanclub in ihrer Gegend anschließen und riefen deshalb beim ZDF an. Dort wurde ihnen beschieden, daß es zwar fanatische Derrick- Anhänger in den Niederlanden gibt, in Frankreich und Australien, aber in Deutschland noch keinen einzigen Fanclub. „Wir haben damals ja schon immer die Derrick- Serie angesehen, da haben wir uns gesagt: ,Na ja, können wir auch gleich einen Club gründen.‘ Es war uns völlig unverständlich, daß es noch keinen gab.“ ZDF-Mann Legal sei gleich ganz happy gewesen. Die Clubaktivitäten haben den drei Freunden schon erfreuliche Möglichkeiten geboten: Zur Aufzeichnung einer Gottschalk-Sendung wurden sie nach München geladen, da konnten sie auch Kollegen vom niederländischen Fanclub kennenlernen. Als sie mit der Straßenbahn durch den Nobelstadtteil Grünwald fuhren, Derricks Hauptermittlungssprengel, hat der Amsterdamer Rob P. Schnippers ganz aufgeregt aus dem Fenster geschaut. „Der hat immer herumgedeutet und gesagt: ,Da – da – erkennt ihr das? Das ist aus Folge soundso!‘ Aber wir haben gar nichts erkannt.“

So intim sind die Kenntnisse der Deutschen dann doch nicht, und so wollen sie es auch nicht. „Es gibt schon Verrückte. Die sind ja total fanatisch.“ Nohe freut sich am Anblick von Horst Tappert, einem „Mann, der Ahnung hat“, dem er auch schon einmal die Hand schütteln durfte, der seinen Ruhestand verdient hat. Ihn fasziniert Stephan Derricks Gelassenheit und freut, daß er am Ende nicht sterben muß („Das hätte er nicht verdient“), denn er sei ein guter Botschafter Deutschlands, der Repräsentant einer idealen Polizei. Aber Fernsehen ist Fernsehen, und Leben ist Leben. Und dann bekräftigt Nohe noch mal: „Hauptsache, wir haben unseren Spaß dabei.“

Das Gespräch gerät ein wenig ins Stocken, da klingelt das Telefon – der 1. Clubvorstand Daniel Landenberger ist dran. Ob er morgen dasein werde, da sei dieses Radiointerview. Die hätten es gerne, wenn da einige Leute im Hintergrund wären. Und Landenberger hat Neuigkeiten: Das ZDF hat abgesagt. Das sei ihr alles zu normal, habe die Dame gesagt. „Ist uns auch recht“, freut sich Markus Nohe. Und bietet noch eine Cola light an.

1. Derrickfanclub Deutschland, Brunnengasse 1, 74821 Mosbach