: Das Bombodrom und Rudis Schweigen
In der Opposition hat Rudolf Scharping die Bürgerinitiative „Freie Heide“ unterstützt, die seit Jahren gegen den Truppenübungsplatz Wittstock kämpft. Seitdem er Verteidigungsminister ist, schweigt er dazu ■ Von Markus Völker
Berlin (taz) – Selbst in den eigenen vier Wänden kommt Annemarie Friedrich nicht davon los. Immer wenn die 76jährige die Holztreppe in ihrem Einfamilienhaus in Flecken Zechlin im Norden Brandenburgs hochgeht, schaut sie auf mehrere Risse in der Wand. „Hier sehen Sie, was uns der Truppenübungsplatz eingebrockt hat. Jahrelang sind die Sowjetbomber drübergedonnert, die Scheiben haben gescheppert, uns ist jedesmal fast das Herz stehengeblieben“, schimpft Friedrich. Nur notdürftig hat sie Putz über die Rißstellen geschmiert, als wolle sie den Bauschaden als Zeitdokument erhalten. Ein privates Mahnmal, das sie unablässig an das „Bombodrom“ in der Wittstocker Heide erinnert.
Nach der Wende keimte Hoffnung. Nach über 40 Jahren zogen die GUS-Truppen ab. „Was haben wir da aufgeatmet.“ Es war ein kurzes Luftholen. Die Nachricht, die Bundeswehr wolle das 142 Quadratmeter große Areal weiter nutzen, sei 1992 „wie eine Bombe eingeschlagen“. Seitdem kämpft Friedrich als energische Wortführerin in der Bürgerinitiative „Freie Heide“ für Renaturierung und zivile Nutzung des Gebiets. Bisher waren Protestmärsche und Appelle vergeblich.
„Alle Politiker haben damals gesagt, das mit den Bombenabwürfen und den Tiefflügen muß ein Ende haben“, erinnert sich Friedrich, „aber dann sind sie nach und nach umgekippt.“ Besonders enttäuscht ist Friedrich von Rudolf Scharping. „Rudi“ sagt sie zum Bundesverteidigungsminister. „Lieber Rudi“, schreibt sie auf ihre Briefe an den SPD-Mann. Ein kleines Bündel Briefe bezeichnet sie als „meine Korrespondenz mit ihm“.
Persönlich kennt sie Scharping natürlich auch. Auf einer Protestwanderung im Sommer 1994 ist Scharping auf Einladung der Freien Heide mitgewandert. Das Du hat er Friedrich damals angeboten, außerdem verkündet: „Wenn neue Mehrheiten in Bundestag und Regierung geschaffen werden, dann wird das hier nicht mehr Truppenübungsplatz sein.“ Zum Abschied habe er ihr noch zugerufen, wenn die Heide frei ist, werden wir feiern. Und nun?
Seitdem Scharping Chef auf der Bonner Hardthöhe ist, kann von einer Feier in der Heide keine Rede mehr sein. Der Minister will bislang keine Stellung beziehen. Die Schließung des Bundeswehrstandorts Wittstocker Heide sei eine Entscheidung, „die in der Vergangenheit getroffen worden ist“, sagte Scharping gestern. „Ich werde darüber mit allen Beteiligten reden und erst danach öffentlich Stellung dazu nehmen.“
Auch der Briefverkehr mit Friedrich ist ins Stocken geraten. „Liebe Annemarie“, so steht es in seinem letzten Schreiben, „es ist mir unmöglich, bei euch zu sein. Die Regierungsarbeit verlangt meine Anwesenheit in Bonn.“ Obwohl Scharpings ausweichendes Verhalten die Gemüter erregt, beurteilt Friedrich ihn mit ungewohnter Milde. „Seine SPD- Freunde stellen das so hin, als wäre das eine Privatidee von Rudi Scharping gewesen.“ Um das Gegenteil zu beweisen, blättert sie in ihren Unterlagen. Und tatsächlich: Was Scharping 1994 sagte, steht schon 1992 im Sofortprogramm der SPD für eine mögliche Regierungsübernahme. Auch im Vorfeld der letzten Bundestagswahl erklärte der Parteivorstand in einem Schreiben: „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß die Wittstocker Heide gar nicht erst als ,vollwertiger‘ Truppenübungsplatz eingerichtet wird.“
Für Friedrich steht fest: „Auf der Hardthöhe sitzen Leute, die Scharping verheizen wollen. Der hat ein viel zu warmes Herz für die Politik.“ Sie kann nicht glauben, daß ihr einflußreicher Briefpartner seine Meinung geändert haben soll. Immer wieder zitiert sie die entscheidenden Stellen der Briefe, die ihr Scharping geschrieben hat. Da steht, daß Scharping auf das Vertrauen der Bürgerinitiative baut, sich die Dinge mit dem Regierungswechsel zum Besseren wenden werden, aber auch, daß „die Freude über den Wahlsieg von dem Gefühl begleitet wird, eine enorme Regierungslast zu schultern“. Die Last scheint Scharping so zu drücken, daß aus der Hardthöhe keine Informationen von Belang dringen. Frühestens im März werde eine Entscheidung von Rot-Grün fallen, ein „Wehrstrukturausschuß“ arbeite „intensiv“ am Thema, verkündet ein Sprecher. Auch ein endgültiger Gerichtsentscheid des Oberverwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) über die Nutzung der Wittstocker Heide ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
Auf diese negativen Zeichen reagiert Friedrich trotzig: Sie versendet neue Rundbriefe. Auch an die SPD-Mitglieder im Verteidigungsausschuß Manfred Opel und Peter Zumkley. Beide hatten sich für den Truppenübungsplatz stark gemacht. Die Bürgerinitiative solle sich ihrer Meinung nach endlich der Einsicht öffnen, „daß dieses geschundene Stück Natur durch die Bundeswehr mit äußerster Sorgfalt und Rücksicht behandelt wird“, schrieben sie kürzlich.
Nach Angaben des Verteidigungsbezirkskommandos 84 in Potsdam will die Bundeswehr 3.600 Tiefflüge (Höhe: 30 Meter) pro Jahr durchführen. Obwohl selbst Optimisten der Freien Heide resignativer Stimmung sind, glaubt Friedrich noch an Scharping, ihren Hoffnungsträger. Für den Fall, der Verteidigungsminister löst sein Versprechen doch ein, hat sie große Pläne. „Rudi“ will sie dann in 25 Anrainerdörfern zum Ehrenbürger machen. „Das wäre absolut einmalig in deutscher Geschichte.“ Die Briefe an die Bürgermeister liegen schon in ihrer Schublade.
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