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Kaviarkleckse

■ Um 23 Uhr sieht es auf der Jubiläumsparty im "Hitparaden"-Studio aus wie schon seit 30 Jahren

Auf den Tischen zwischen den drei glitzernden Bühnen, den silbernen Treppen und dem Laufsteg, auf dem sie dann alle hereingetänzelt kommen, um „Manchmal möchte ich schon mit dir“ oder irgend etwas anderes über die Liebe zu schlagern, stehen und liegen gefüllte Fleischröllchen und hartgekochte halbe Eier mit Kaviarklecksen, die sich schon langsam an den Rändern zusammenkrumpeln. Es ist 23 Uhr, und das heißt, daß man schon ein paar Gläser vom guten Blanchet und ein paar Dankesreden über die erfolgreichen letzten drei Jahrzehnte intus hat, man hat Ex-Moderator und ZDF-Unterhaltungschef Victor „Schwiegersohn“ Worms, Uwe „Schwiegersohn“ Hübner und Roland „früher Schwiegersohn, jetzt Vater“ Kaiser gesehen, hat Hähnchenkeulen gegessen und stand in Grüppchen umher.

Die Party ist vorbei oder hat vielleicht nie angefangen, zwei Frauen (Mutter und Tochter?) umklammern eine geschlossene Flasche Sekt („Wollten wir eigentlich trinken ...“) und lästern über die Stimmung: „Nüscht los“ sei hier, und dabei sei man doch „von der Begleitband von Nicole“ eingeladen worden. Hin und wieder, zum jetzigen Zeitpunkt aber deutlich seltener, streicht ein immer viel kleiner und faltiger als im Fernsehen aussehender Schlagerfuzzie vorbei, Patrick Lindner etwa (Muß der nicht Windeln wechseln?) oder einer von Rosenstolz, aus einer merkwürdigen, neuen Schlagergeneration – und erstaunlich viele ganz Junge in Schwarz und auf Plateu. „Alles Kabelhilfen“, behauptet „Tute“ Lehmann, der seit der ersten Sendung dabei ist und als Toningenieur bestimmt einen manchmal ganz schön quälenden Job hat

Tute weiß auch, warum D. T. nicht da ist: Der habe ja schon die 25-Jahre-Feier moderiert, und man müsse ja nicht alles gleich machen bei diesen Jubiläen. Tute mag die Show immer noch, sagt er, so richtig Fan von irgendeinem Sänger sei er jedoch nicht. Er erzählt aber von dem Mega-„Hitparaden“-Fan, der früher jahrzehntelang bei jeder Sendung war, erst erste Reihe, später unter Protest hinten, aber seit einem Jahr käme der nicht mehr. Er hatte es wohl einfach satt. „Kostet ja auch jedesmal 30 Mark Eintritt“, gibt Tute Lehmann zu bedenken.

Die ganze Zeit sitzt eine traurig aussehende, blonde Frau allein auf einer Glitzertreppe und spricht in ihr Handy. Wahrscheinlich versucht sie, jemanden zu überreden, doch noch zur duften Party zu kommen und mit ihr zu sprechen, damit sie nicht die ganze Zeit telefonieren muß. Man kann an ihr vorbei den Laufsteg nach hinten, ins geheimnisvolle Dunkel, entlangspazieren, dorthin, wo die Stars herkommen bei der Show. Da ist aber nichts, nur Kulisse von hinten, Kabel und Feuermelderkästen. Hier stehen also die Minirock-Pop-Dauerwellen-Schlagerhoffnungen und kippeln nervös von einem Stöckelschuh auf den anderen, und hier sitzen auch die Routiniers und rauchen ganz cool kurz noch eine vor dem Auftritt.

Und dann treten sie auf den laut knatschenden Gittersteg hinaus und versuchen, ihren Part zu der Fernseh- und Schlagergeschichte beizutragen: Hoffentlich ist dann mit klatschenden Gästen und zappelndem Moderator mehr Stimmung in der Bude als bei dem Jubiläumsfest – die Schlagermusik im Hintergrund ist nicht mal zu verstehen, sie plätschert als undefinierbarer „KommzumirLiebeistwieSterbenAbschiedauch“-Fahrstuhl-Mix leise vor sich hin. Aber irgendwie hat's auch etwas Beruhigendes: All den hippen Drum 'n' Bass- und Hallo-Millennium- Werbeagentur-Journalistenpool- Parties zum Trotz feiert das ZDF seine „Hitparaden“-Jubiläumsfeier so, als hätten die letzten 30 Jahre gar nicht stattgefunden. JZ

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