: Ruin oder Ruine: Selbsthelfer stehen vor der Qual der Wahl
■ Die Bauverwaltung will mehr Fördergelder für Selbsthilfesanierer bereitstellen. Doch der Finanzverwaltung ist das Programm zu teuer. Eine höhere Eigenbeteiligung bedeutet aber das Aus für viele Projekte, die ihr Haus bewohnerorientiert sanieren wollen
Zwei Kastanien stehen auf dem engen ersten Hof, der zweite Hof, der sich zu den verschachtelt angrenzenden Nachbargrundstücken öffnet, ist „seit kurzem autofrei“, wie Tobias Perlick, Bewohner der Schwedter Straße 5 in Prenzlauer Berg, stolz berichtet. Ein erster Erfolg, den die Hausbewohner durchsetzen konnten, weil sie seit Sommer 1998 Eigentümer des Gebäudes sind.
Vorerst zwölf Mieter haben sich zusammengeschlossen und den maroden Altbau von der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft in Prenzlauer Berg (WiP) gekauft. Doch der Traum, über eine Sanierung mit Hilfe des Selbsthilfeprogramms die „gewachsenen Struktur und erhaltenswerte Vielfalt der Bewohnerschaft“ zu erhalten, droht nun zu platzen. Da die Finanzverwaltung eine Mittelaufstockung für das Selbsthilfeprogramm blockiert, können die Bewohner der Schwedter Straße 5 erst mit einer Förderung im Jahr 2001 rechnen.
„Ein Viertel des Hauses ist derzeit nicht vermietbar“, klagt Perlick. Durch fehlende Mieteinnahmen und dringend notwendige Reparaturen droht nun sogar ein Rückverkauf des Hauses an die WiP. Den Bewohnern bliebe wegen bereits angefaller Kreditzinsen und Architektenhonorare nur eine langfristige Verschuldung.
Seit Jahren sind im Haushalt 30 Millionen Mark jährlich für neue Selbsthilfe-Förderverträge vorgesehen. Wegen der großen Nachfrage wurden gegen Jahresende jedoch stets nicht benötigte Mittel aus anderen Töpfen umgewidmet. So wurden von 1991 bis 1997 durchschnittlich etwa 47 Millionen Mark bereitgestellt. Doch 1998 legte die Finanzverwaltung erstmals ein Veto gegen diese Praxis ein. Gleichzeitig wurde die Mittelfreigabe für 1999 ausgesetzt. Das Programm sei zu „förderintensiv“. Barbro Dreher, Referentin von Finanzsenatorin Annette Fugmann- Heesing (SPD), begründet dies mit „entsprechenden Hinweisen“ des Landesrechnungshofs.
Durch den so entstandenen Förderstau stehen derzeit 40 Projekte auf der Warteliste der Bauverwaltung. Mit den 30 Millionen Mark könnten höchstens zehn Bauvorhaben finanziert werden. Die übrigen mußten auf das Jahr 2000 oder später vertröstet werden. Allerdings läuft die Vergaberichtlinie Ende 1999 aus. Die Projekte hängen daher völlig in der Luft.
„Wenn nicht bald etwas geschieht, werden hier Sozialfälle auf Dauer produziert“, kritisiert Ulf Heitmann von Ibis, einem der Sanierungsträger, die Selbsthilfeprojekte im Auftrag des Senats betreuten. Einigen Projekten drohe bereits die Kündigung der Bankkredite, da die Banken den Hauskauf nur mit Blick auf die anstehende Senatsförderung mitfinanziert hätten.
Ulrich Arndt, Staatssekretär der Bauverwaltung, hat auf Anfrage der Grünen-Baupolitikerin Barbara Osterheld zwar angekündigt, „eine Verstärkung der Mittel für bauliche Selbsthilfe“ bei der Finanzverwaltung zu beantragen. Nach taz-Informationen will die Bauverwaltung den Fördertopf auf 50 bis 60 Millionen Mark aufstocken. Gleichzeitig soll das Förderprogramm „Soziale Stadterneuerung“ für selbstnutzende Eigentümergemeinschaften geöffnet werden, um den Förderstau abzubauen. Ob sich die Bauverwaltung damit aber gegenüber der Finanzsenatorin durchsetzt und ob das dann den Selbsthilfegruppen helfen wird, ist fraglich.
„Uns liegt der Antrag noch nicht vor“, erklärt Barbro Dreher. Die Stellungnahme des Baustaatssekretärs lasse zudem nicht erkennen, ob eine reine Mittelaufstockung oder auch eine Änderung der Mittelvergabe geplant sei, die die Kritik an der Förderintensität berücksichtige. Schon im Herbst vergangenen Jahres hatte die Bauverwaltung potentiellen Selbsthilfeprojekten mitgeteilt, daß die Richtlinien „mit dem Ziel der Verringerung der Fördermittelintensität überprüft“ werden.
Eine Erhöhung des Eigenanteils an den Baukosten würde jedoch das Aus für viele Selbsthilfegruppen bedeuten. Ähnliches gilt für das Ausweichen auf die „Soziale Stadterneuerung“. Für dieses Programm plant die Bauverwaltung zur Zeit eine Erhöhung des Eigenanteils auf 40 Prozent. „Um dies allein durch Muskelarbeit zu erbringen, müßte jeder Selbsthelfer zwei Jahre lang wöchentlich etwa 27 Stunden auf der Baustelle ackern“, rechnet Fabian Tacke, Sprecher des Arbeitskreises Selbsthilfegruppen im Altbau (AKS), vor.
„Wenn wir statt 20 dann 40 Prozent Eigenleistung erbringen müßten, würde unser Projekt als ungeborenes Kind sterben“, ärgert sich Volker Gögel von der Genossenschaft „Die kleinen Leute“, die nach dreijähriger Verhandlung kurz vor dem Kauf ihres Hauses in der Eberswalder Straße steht. „Hier wohnen viele alte Leute, Kinder und der typische Querschnitt für Prenzlauer Berg“, berichtet Gögel. In der Genossenschaftssatzung wurde der Erhalt des Bewohnerspektrums festgeschrieben. „Das Haus steht jetzt zum Verkauf“, weiß Gögel, „wenn wir nicht zugreifen können, baut hier ein Profi-Investor“. Der soziale Anspruch des Projekts wäre verloren. Gereon Asmuth
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