Kommentar: Kurswechsel in der Schulpolitik
■ Diplomatenkinder sind nur der Vorwand
Wahrscheinlich wußte Joschka Fischer gar nicht, was er tat. Mit den Untiefen der Weltpolitik ist der grüne Außenminister zwar bestens vertraut, vom Kosovo bis zum Irak, von der EU-Agrarpolitik bis zu den Menschenrechten in China weiß er auf jedem Gebiet alle nur erdenklichen Fettnäpfchen gekonnt zu umschiffen. Doch das ist gar nichts gegen das verminte Gelände der Berliner Schulpolitik. Wenn Fischer die Kinder seiner Diplomaten schon in der 5. Klasse aufs Gymnasium schicken will, dann löst er in Berlin beinahe eine Senatskrise aus.
Doch wenn die hauptstädtische CDU jetzt jubelt, dann geht es ihr in Wahrheit gar nicht um ein paar Schüler aus Bonn oder Timbuktu. Sie fallen zahlenmäßig kaum ins Gewicht, für sie ließen sich vertretbare Lösungen finden – zumal schon bisher Fünftkläßler aus anderen Bundesländern nach Berlin wechselten, ohne sich des geballten christdemokratischen Mitleids erfreuen zu können.
Nein, in der Berliner Debatte sind die Bonner Kinder nur ein Vorwand für einen Kurswechsel in der Schulpolitik. Die CDU will die Gelegenheit nutzen, um endlich Schluß zu machen mit sozialdemokratischen Mätzchen aus Westberliner Zeiten – obwohl internationale Vergleiche zeigen, daß es den Lernerfolg auch der Begabteren nicht schmälern muß, wenn alle Kinder gemeinsam sechs Jahre lang die Schulbank drücken.
Aufbruchstimmung verbreitet aber auch das sozialdemokratische Status-quo-Denken nicht. Um die CDU-Vorstöße zu parieren, betont SPD-Schulsenatorin Stahmer pflichtschuldig, sie wolle die 5. und 6. Grundschulklasse reformieren. Über solche Gemeinplätze ist sie dabei nicht hinausgekommen.
Mit dem Entwurf für ein neues Schulgesetz immerhin gab Ingrid Stahmers Behörde neue Impulse: Der Elternwille soll, etwa bei der Schulwahl, künftig schwerer wiegen. Das dürfte in Stahmers eigener Partei auf Skepsis stoßen, während CDU und Grüne, zwei bürgerlich geprägte Parteien, den Fetisch „Elternwillen“ stets hochhalten. Aus dem Brief des Außenministers hingegen läßt sich eine schwarz-grüne Koalition nicht herauslesen. Die Schulpolitik müssen die Berliner schon unter sich ausmachen.
Ralph Bollmann Bericht Seite 20
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