■ Türkei-Wahlen: Was geschieht mit der PKK, was mit den Islamisten?: Fundamentale Frage, schlimme Aussicht
Die beiden entscheidenden innenpolitischen Fragen der Türkischen Republik seit ihrer Gründung 1924 werden auch die voraussichtlich letzten Wahlen in diesem Jahrhundert bestimmen. Bei allem Propagandageklapper der letzten Wochen werden die türkischen Wähler am Sonntag wieder einmal vor allem zwei Fragen beantworten müssen. Erstens: Wie halten wir es mit dem politischen Islam? Und zweitens: Wie soll eine Lösung der kurdischen Frage aussehen?
Wenn Umfragen und die allgemeine Stimmungslage nicht sehr täuschen, wird die islamische Tugendpartei (Fazilet) rund 20 Prozent der Wählerstimmen einstreichen. Angesichts der Repression, des Verbots der Wohlfahrtspartei, der Vorgängerin der Tugendpartei, und der Kriminalisierung führender islamischer Politiker ist dies ein erstaunliches Ergebnis. Um so mehr, als seit der Festnahme Abdullah Öcalans die Islamisten in der öffentlichen Debatte praktisch keine Rolle mehr spielten. Bestätigen sich die Vorhersagen, muß man wohl akzeptieren, daß es in der Türkei ein stabiles islamisches Wählerpotential um die 20 Prozent gibt. Dieses Fünftel der Gesellschaft aber soll ausgegrenzt werden, darf per Anweisung der Militärs nicht mitspielen. Das ist einer Gründe, warum es wohl auch nach dieser Wahl keine stabile Regierung in Ankara geben wird.
Die Kurden sind auf der politisch-parlamentarischen Ebene wesentlich schwächer als die Islamisten. Seit der Festnahme Öcalans sind die herrschenden politischen Kräfte darüber hinaus überzeugt, daß sie den dritten großen kurdischen Aufstand in diesem Jahrhundert erfolgreich niedergeschlagen haben und nun wieder zur Tagesordnung übergehen können. Das wird sich genauso rächen wie die Arroganz gegenüber den Islamisten. Die PKK ist nach wie vor in der Lage, durch Terror das Land in einen permanenten Ausnahmezustand zu versetzen und eine der wichtigsten Einnahmequellen, den Tourismus, zu ruinieren. Sollte Öcalan im Überschwang türkischen Nationalismus gar gehenkt werden, wird der Graben zwischen der kurdischen und der türkischen Bevölkerung kaum noch zu überbrücken sein.
Eine stabile Ecevit-Regierung hätte diese Probleme zumindest offen diskutieren können. Wenn es am kommenden Montag wieder erst einmal zu einem langwierigen Geschacher um eine neue Regierungsbildung kommt, drohen der Türkei schlimme Zeiten. Jürgen Gottschlich
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