: Anschwellende Mittelstreifenbreiten
Was sich beim Spazierengehen auf europäischen Autobahnen sehen läßt. Und wieviel Urbanität im ehemaligen Berliner Grenzstreifen steckt: Fotografien der DG-Bank-Stipendiaten Uschi Huber und Angus Boulton im Künstlerhaus Bethanien ■ Von Ulrich Schötker
Die Präsentation des Firmennamens „DG Bank“ am Eingang vom Studio 1 des Künstlerhauses Bethanien wirkt auf den Betrachter maßgeblicher als die Namen der ausstellenden Künstler: Das Bankinstitut tritt eben als Sponsor in Erscheinung, nicht als Mäzen. Und nun also zum ersten Mal im Kreuzberger Künstlerhaus – mit seinen Stipendiaten Uschi Huber und Angus Boulton.
Nachdem Nicolas Schaffhausen, der neue Leiter des Kunstvereins Frankfurt, zwecks Neuorientierung (auf Hugo Boss) eine weitere Zusammenarbeit mit dem Sponsor ablehnte, mußte sich das Spitzenkreditinstitut der deutschen Genossenschaftsorganisationen einen neuen Platz suchen.Den anstehenden Zuzug nach Berlin in ein neues Gebäude von Frank O. Gehry am Pariser Platz begleitet nun ein aktives Sponsoring in der neuesten deutschen Kunstmetropole. Ob sich Berlin darüber freut, bleibt abzuwarten – die Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien wurde jedenfalls als Auftaktveranstaltung von beiden Seiten positiv bewertet und soll auf eine mehrjährige Zusammenarbeit hinauslaufen.
Man weiß freilich von weiteren Kontaktaufnahmen zu anderen Häusern in Berlin. Unter anderem munkelt man über Gespräche zwischen der DG Bank und Klaus Biesenbach, der schon 1997/98 als Jury-Teilnehmer die Entscheidung für die Stipendiaten Tonja Kirchner und Thomas Demand mittrug. In seinen Kunst-Werken wird denn auch im Herbst dieses Jahres eine von der Bank finanzierte Ausstellung zu sehen sein.
Ob sich die DG Bank aber folgenden Auszug aus der Arbeit der Stipendiatin Uschi Huber zu Herzen genommen hat? „Jeder Gegenstand muß den nachstehenden Anforderungen weitgehend gerecht werden: gefahrlos, hygienisch, formschön, diebstahlsicher, selbstreinigend, wetterfest, verschleißfest, bruchfest, rostfrei.“
Was sich anhört wie eine 90er-Jahre-Erweiterung der Bauhausschen Dingphilosophie ist in Wahrheit ein Auszug aus den Vorgaben der Autobahnmeisterei. Beispiele dieser Art, über die Dinge neben und an Autobahnen nachzudenken, gewann Uschi Huber nach tagelanger Recherche in der Bundesanstalt für Straßenwesen. Huber bedient sich der Fotografie als dokumentarischen Mediums, ohne dabei die künstlerische Intention aus den Augen zu verlieren. In fünf europäischen Ländern – Belgien, Deutschland, Holland, Italien und Österreich – ging sie als Fußgängerin auf Autobahnen spazieren, um eine Landschaft zu fotografieren, an der wir normalerweise vorbeizischen. Lange Teerflächen, vereinzelte Verkehrsinseln, parkende Autos auf Rastanlagen, staksige Straßenlaternen und eine nach Maß angelegte Vegetation: eine gelangweilte Benutzeroberfläche als wohldosierte Gestaltung nach Richtlinien wie die eben zitierte oder auch folgende: „Bei flüssigen Trassen aus Kreisbögen und Übergangsbögen ergibt sich eine Geschmeidigkeit beim An- und Abschwellen der Mittelstreifenbreite von einer Art, daß die angewendeten mathematischen Mittel unsichtbar und nur die schönen Wirkungen erkennbar sind.“ Uschi Hubers Autobahnen erstarren nicht in landschaftlicher Schönheit. Sie fotografiert die nüchterne Flächennutzung als absurde Kulisse aus der Fußgängerperspektive. Es ist kein Blick auf Desaster und Unfalltod; nur eine Autobahn – ganz ohne Drama.
Der in York geborene Angus Boulton ist der zweite Stipendiat der DG Bank. Sein Projekt mit dem Titel „Berlin“ sucht sowohl den kompositorisch ausgefeilten formalen Bildaufbau als auch den spezifischen Standpunkt. Er ging mit seiner Kamera den Weg der ehemaligen Mauer entlang und fand hier eine urbane Situation, die den Vergleich zwischen Ost und West ermöglicht. Sein Blick auf Berlin zeigt Stadtnischen in formal klassischer Sichtweise. Ein Hinterhof, Plattenbauten und Mauerreste werden nicht als touristische Blickpunkte ermittelt.
So entsteht eine warme, würdevolle Ansicht von Berlin, frei von Kreuzberg-Kitsch oder einer Verherrlichung solitärer 90er-Jahre-Architektur à la Potsdamer Platz. Statt dessen findet sich eine urbane Kulisse, die eine brüchige und charmante Korrektur städteplanerischer Vorgaben vornimmt.
Bis 4. 7., Studio 1, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg
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