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Es ist in der Luft

■  Lange sollte die TV-Zukunft nur aus dem Kabel kommen. Jetzt holt das Digital-TV über die klassische Dachantenne hierzulande auf

„Ich kriege sechs Fernseh- und neun Hörfunkprogramme in Top-Qualität über die Antenne.“ Ulrich Reimers ist es durch das Telefon anzumerken, daß er am anderen Ende der Leitung strahlt.

Der Professor am Institut für Nachrichtentechnik der Uni Braunschweig erzählt voller Begeisterung von den Fortschritten, die sein Projekt macht, der „Modellversuch DVB-T in Norddeutschland“. DVB-T steht für digitales terrestrisches Fernsehen, also die Ausstrahlung und der Empfang digitaler Fernsehsignale über ganz gewöhnliche erdgebundene Sendemasten. „Wir haben inzwischen das zweitgrößte Sendernetz der Welt“, verkündet Reimers stolz. Das größte Sendernetz steht in England, wo DVB-T schon im letzten November in den Regelbetrieb gegangen ist. Der Stolz von Reimers ist insofern berechtigt, als sein Projekt damit sogar noch vor dem anderen DVB-T-Pionier Schweden liegt, wo schon in diesen Monaten die neue Technik als Regeldienst eingeführt werden soll. In Niedersachsen, Bremen und Hamburg geht es dagegen noch um einem technischen Test aus Anlaß der „Expo 2000“. Es sind dennoch immer mehr digitale TV-Signale in der deutschen Luft.

Dabei wollten Politik und Konzerne lange Zeit nur Kabel und Satellit als die Wege gelten lassen, über die die digitale Zukunftsfernsehtechnik (s. Kasten) zum Zuschauer kommt. Auch Reimers meinte, daß eine Investition in ein drittes Sendernetz sich kaum noch lohne. Und er muß es eigentlich wissen, denn der Braunschweiger Professor ist Leiter des „Technischen Moduls“ des Entwicklungskonsortiums für die gesamte europäische Digitalfernseh-Einführung. Als solcher jettet er in der Weltgeschichte umher und versucht im Wettkampf mit den Amerikanern andere Länder von der technischen Überlegenheit der europäischen Entwicklung zu überzeugen. Sein bisher größter Triumph: Im letzten Jahr entschied sich Australien gegen das US-System und für das europäische.

Mittlerweile aber treibt Reimers die Entwicklung des digitalen Antennenfernsehens auch in Deutschland voran. Derzeit entsteht entlang den Autobahnen zwischen Bremerhaven und Hamburg über Hannover bis hin nach Wolfsburg ein großes Sendernetz für DVB-T. Am Ende dieser Kette sitzt ein potenter Interessent: Der Wolfsburger VW-Konzern will u.a. austesten, welche technischen Probleme beim mobilen Fernsehen in Autos auftauchen.

Auch die Sender sind nicht mehr so abgeneigt gegenüber DVB-T, seitdem sie festgestellt haben, daß die Ausstrahlungskosten ihrer Programme im Äther um bis zu 90 Prozent sinken können. Für einen Sender wie das ZDF ist das schon eine stolze Summe. Statt 160 Millionen Mark müßten die Mainzer der Telekom pro Jahr nur noch 16 Millionen für die flächendeckende Versorgung überweisen.

Auch für die Zuschauer bieten sich interessante Perspektiven: Digital können sehr viel mehr Programme über die Hausantenne empfangen werden. Von mindestens dreißig Angeboten ist derzeit die Rede. So viele wie derzeit schon über das herkömmliche Kabelfernsehen zu haben sind, aber dort nur gegen Zusatzgebühr an die Telekom oder andere Kabelfirmen. Zudem könnten über die normale Antenne auch kleinere oder regionale Sender übertragen werden, die auf dem Satelliten oder im Kabel keine Chance haben. Experten wie der Berliner Medienkontrolleur Hans Hege sehen daher in der Antennentechnik eine Möglichkeit, den Versuchen der Konzerne zu begegnen, die die Digitalisierung für Marktaufteilung und höhere Preise nutzen wollten.

Techniker halten durchaus auch 150 verschiedene Programme für möglich, doch da ist bislang die Telekom vor, die ihrem Kabelgeschäft mit der Antenne natürlich keine Konkurrenz machen will. In England läßt sich schon jetzt besichtigen, welche Auswirkungen die Digitalisierung der verschiedenen Verbreitungswege haben kann. Dort konkurrieren gleich zwei Konsortien um die Kunden. Während Rupert Murdochs BSkyB über Satellit 78 Programme plus 50 Videoabrufprogramme liefert, bringt die Erdantennenkonkurrenz von Ondigital derzeit nur 29, zum Teil regionale Programme sowie die frei empfangbaren Basisdienste von BBC und der privaten Konkurrenz ITV.

Auch wenn sich bisher noch wenige Engländer für das digitale Fernsehen begeistert haben – Ondigital vermeldete Anfang April, also viereinhalb Monate nach dem Start, immerhin schon 110.000 Abonnenten. Und die Schlacht um die Zuschauer geht jetzt erst los. Beide Konsortien werfen nun den Neukunden den zum Empfang nötigen Decoder hinterher. Wie im deutschen Handy-Markt bekommt der Kunde das Gerät (Wert etwa 600 Mark) geschenkt – gegen geringen Aufschlag auf die Monatsgebühr. Auch in der BBC ist man optimistisch. Bis Mitte August erwartete man dort 600.000 Digital-TV-Kunden. Schon im Jahr 2004 sollen die Hälfte aller Haushalte umgeschwenkt sein.

In Deutschland sind derweil einige der englischen Decoder für den Massenmarkt im Einsatz: In Pilotprojekten, die in aller Stille vor sich hinlaufen. Immerhin könnte noch in diesem Jahr in Berlin auch hierzulande der Regelbetrieb beginnen. Dies jedenfalls verkündet die dortige Medienanstalt MABB. Jürgen Bischoff

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