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Provokanter Moralist

■ Hommage aus dem Nachlaß: Kunsthaus Berlin ehrt den Fluxuskünstler Wolf Vostell

Im Hof parken Autos, eines ist mit Stangen durchbohrt. Der Ford Camaro als Kunstobjekt. Im Haus trifft man auf weitere Fahrzeuge – fragmentiert, verfremdet, einbetoniert. Wie zahlreiche Fernsehapparate sind sie Teil von Objektbildern und Environments, in denen sich Bild und Ton, Malerei und Skulptur, Privates und Politisches in beunruhigender Weise mischen.

Autor dieser Werke ist Wolf Vostell, Medienkünstler der ersten Stunde, Provokateur und Moralist. Geboren 1932 in Leverkusen, während des Krieges mit seinen Eltern durch Osteuropa getrieben, studierte er in Paris und gehörte seit den Sechzigern der weltweit agierenden Happening- und Fluxusbewegung an. Seit 1970 lebte Vostell in West-Berlin sowie der spanischen Kleinstadt Malpartida de Cáceres nahe der protugiesischen Grenze, wo er sein eigenes Museum eingerichtet hat. Es wird inzwischen vom spanischen Staat unterstützt und enthält neben Fluxuskunst der Kollegen auch einen Teil des eigenen Werks.

Die jetzige Berliner Hommage an Vostell erfolgt ein Jahr nach seinem Tod und zwei Jahre vor der geplanten großen Retrospektive im Martin-Gropius-Bau. Im Zentrum steht sein Nachlaß. Veranstalter und Ort ist das von der privaten Friedrich Foundation getragene Kunsthaus Berlin.

Im Foyer des renovierten ehemaligen Industriegebäudes befindet sich das fünfteilige Objektbild „Rien oder Vor aller Augen“; es sind zwischen Autoteilen, Blech, Glas und Eisengitter eingebaute TV- und Video-Geräte aus ehemaligen Vostellschen Aktionen.Dann der Berlinraum: Bilder mit Beton, Tellern, Löffeln, Messern und Helmen zum Fall der Berliner Mauer, dazu die vom Golfkrieg inspirierte Objektskulptur „Fine de Golfo“ mit Militärschlauchboot, Gasmasken, Geigerzählern und menschlichen Gliedmaßen aus Gips.

Der Medienraum schließlich enthält das Environment „Endogene Depression“: rund dreißig zum Teil flackernde, zischende Schwarzweiß-TV-Geräte mit Tischen und Betonteilen. Auf den Bosnienkrieg beziehen sich die „Sara Jewo Pianos“: drei Klaviere in zerstörerisch-brutaler (und bei Betrieb auch ohrenbetäubend lärmender) Begegnung mit Kettensägen, Motorrad, Ketten und Kugeln.

Am Ende folgen das Triptychon „Shoah 1492-1945“ und die „Hebräische Suite für sieben Violinen“: Neben dem monumentalen, an die Vertreibung der Juden aus Spanien erinnernden Gemälde eines riesigen, auf der Menschheit lastenden Balkens – Galgen, Kreuz und Hakenkreuz in einem – steht das hoffnungsvoll gestimmte Objektbild mit je sieben Violinen, Tellern, Hirtenstäben, Kerzen und Rußflecken.

Vostells symbolträchtiges Werk steht in der Traditionslinie von Bosch über Goya bis Picasso; im Sinne von „Leben=Kunst=Leben“ nimmt es zugleich kritisch auf Gesellschaft und Alltag Bezug: gegen Krieg, Gewalt und Terror, gegen Autowahn und Fernsehsucht. Direkter und aggressiver als Beuys, düsterer und tragischer als Kienholz, ist Vostells politischer Anspruch hoch.

„Die Menschenrechte müssen als Kunstwerke deklariert werden“, meinte er schon vor einem Vierteljahrhundert. Sein Werk ist ein schmerzhafter Beleg dafür. Michael Nungesser

Kunsthaus Berlin, Nicolaistraße 14, Steglitz. Bis zum 4. Juli, Di. bisSo. 13-20 Uhr. Katalog fünf Mark. In der Ausstellung werden Videofilme gezeigt; es finden Sonderveranstaltungen mit Performance, Vorträgen und Lesungen statt

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