Kommentar
: Klimatischer Manierismus

■ Blumenthal überspannt den Bogen

Niemand wandelt gern durch stickige Museumsräume. Schwitzend vor Exponaten zu stehen, vermiest den Kunstgenuss. Und auch die Bilder leiden unter einem zu warmen Klima. Ausstellungen werden so zur Folter. Michael W. Blumenthal, Direktor des Jüdischen Museums, muss wohl eine solche Vorstellung gequält haben, dass er jetzt zur Frostkeule greifen will. Damit die Besuchermassen nicht transpirieren und wohltemperiert die Ausstellungen im Jüdischen Museum betrachten können, fordert der Museumschef den Einbau einer 20 Millionen Mark teuren Klimaanlage. Den Aufwand dafür scheut er nicht, ebenso wenig besitzt er Respekt vor dem spektakulären Bau.

Doch der Direktor überspannt den Bogen. Es grenzt an klimatischen Manierismus, insbesondere amerikanischen Besuchern auch hierzulande nur die gleiche Raumtemperatur bieten zu können, die sie von Museen in Washington, Chicago oder Los Angeles gewohnt sind. Teure amerikanische Verhältnisse aus keimfreier Luft und klinisch getesteter Atmosphäre müssen nicht besser sein als örtliche Standards.

Noch schwerer wiegt, dass Blumenthal durch einen großangelegten Umbau sein eigenes Werk in Gefahr bringt. Denn der schwierige Einbau neuer Entlüftungssysteme würde die Eröffnung um Jahre verzögern. Die Stadt hat Blumenthal geholt, damit er das Bauwerk als Jüdisches Museum institutionalisiert und möglichst bald mit einem Ausstellungskonzept schmückt. Der Direktor hat versprochen, das Haus im Jahr 2000 zu eröffnen. Und wer ist nicht gespannt auf das neue Haus und die Geschichte deutscher und europäischer Juden?

In einem Punkt hat Blumenthal allerdings Recht. Der Bau und seine Ansprüche haben sich in den vergangenen Jahren verändert. Wo einstmals ein Kellerraum mit ein paar Leuchtern als Jüdische Abteilung des drögen Stadtmuseums vorgesehen war, strahlt jetzt der Libeskind-Bau als autonomes Jüdisches Museum. Mehr Besucher als geplant werden kommen, dafür ist mehr Klima nötig. Das Land Berlin muss nun die Rechnung dafür bezahlen, sich so spät auf dieses Konzept eingelassen zu haben. Doch dafür reicht ein Kompromiss. Rolf Lautenschläger