: Riot Girls und nackte Haut
■ Die Feminale-Spezial erinnerte an den blühenden Underground der 70er-Jahre
Groß, ruhig und gelassen steht sie da, mit abschätzigem Blick. Sie knöpft wie selbstverständlich ihren BH auf, lässt die Träger über die schlanken Arme gleiten und zeigt ihre stattlichen Brüste. Ob oben ohne oder mit der Waffe in der Hand, sie strahlt Selbstvertrauen aus. Pam Grier, die Afro-Queen des Blaxploitationfilms der 70er-Jahre, polarisiert. Ihre selbstbewusste Ausstrahlung als „Rächerin der Unterwelt“ in Filmen wie „Foxy Brown“ wirkt auf Männer und Frauen. Exploitationfilme, so die Referentin Bev Zalcock auf der gerade in Köln zu Ende gegangenen Feminale-Spezial, „stehen dem Underground- und Trashfilm näher als dem Hollywood-Kino, obwohl sie sich mehr am Mainstream orientierten. In ihrem Vortrag über Gender Codes und den blühenden 70er-Jahre-Underground verwies Zalcock auf den radikal antikommerziellen Geist dieser Filme.
Unter dem Motto „Girls, Gangs, Guns“ standen bei dem fünftägigen Symposium zumeist rebellische und gewalttätige Frauen im Mittelpunkt. Den Organisatorinnen Carla Despineux und Verena Mund ging es mit Kurzfilmen, Spielfilmen und Vorträgen um die Frage, ob Low- und No-Budget-Produktionen aus den 60er- und 70er-Jahren die vom Mainstreamkino propagierten stereotypen Frauenbilder verändern, erweitern und witzig oder ironisch brechen. In den Kurzfilmen von Jennifer Reeder, Amanda Raine, Mirjam Hector und Sara Ring war das zweifellos der Fall. Die Potent-Pussy-Produktion „Women in Black“ beispielsweise persiflierte den Stil von Barry Sonnenfelds „Man In Black“, während man „The Adventures of White Trash Girl“ oder „The girl says: Papa eats eyes“ als kuriose Hommage an böse Mädchen deuten kann.
„Die Exploitationfilme der 70er-Jahre waren ein Übungsfeld für unbekannte Regisseure“, so die britische Filmwissenschaftlerin Pam Cook. „Wenn sie Frauen waren, standen sie zu den moralischen Aussagen ihrer Filme.“ Junge Filmtalente am Rande Hollywoods nutzten damals die relativen Freiheiten billiger Produktionen, um Genreparodien zu drehen. So auch Stephanie Rothman, die in Köln berichtete, dass sie vom europäischen Kunstkino der 50er-Jahre inspiriert war und die Hoffnung, einmal unabhängig Filme machen zu können, nicht aufgab. Nur deshalb ließ sie sich auf die Maxime des Exploitationfilms ein, immer wieder „Sex, Gewalt und nackte Haut“ zu zeigen.
Wenn heute die 70er-Jahre wieder aufleben, so die amerikanische Filmkritikerin Ruby Rich, dann zumeist in Bezug auf Form und Stil, nicht aber auf Feminismus und Politik. So würden auf dem Videomarkt beispielsweise nur die unpolitischen Exploitationfilme neu aufgelegt, nicht aber Filme, die eine bewusste Einstellung zu den sozialen und politischen Phänomenen der Zeit spiegeln. Mit „The Student Nurses“ trug Stephanie Rothman Anfang der 70er-Jahre wesentlich zum Erfolg von Roger Cormans New-World-Produktion bei, gerade weil dieser Film soziale und politische Themen der Zeit aufgriff und Rothmans Frauenfiguren gegen gesellschaftliche Konventionen verstoßen, nachdenken und ungewöhnlich handeln.
Wohltuend war Rothmans illusionsloser Bericht über ihre Erfahrungen mit der Corman-Factory. Keiner ihrer Filme kostete mehr als 250.000 Dollar, und als Corman für „Boxcar Bertha“ ein großes Budget auftrieb, engagierte er nicht Rothman, sondern den jungen Martin Scorsese. „Heute sind es die Akademiker, die sich für meine Filme interessieren“, stellte Rothman eher belustigt fest, währen ihre Filme in den Siebzigern bestenfalls als „Exploitation mit ungewöhnlicher Tiefe“ gehandelt wurden.
Was die vielen Nixon-Porträts an den Wänden von Amtsstuben und Gefängnissen, den Umgang mit ungeschütztem Sex und Haschisch, die Reliquien der Pop-Art, Mode und Minirock angeht, weckten viele Filmbeiträge nostalgische Gefühle. Die rebellischen Heldinnen der Filme können auch als Vorbilder für das Riot Girl der 90er-Jahre betrachtet werden. Allerdings wird heute Weiblichkeit – äußerlich zumindest – umdefiniert. Die in New York lebende Österreicherin Anette Baldauf, die Stimme aus dem „Epizentrum der Girlkultur“ (Der Standard), entwarf in ihrem leider in hermetischem Soziologendeutsch verkapselten Vortrag „Lips, Tits, Hits Power? Feminismus und Popkultur“ wie schon in ihrem gleichnamigen Buch ein Panorama der „Girls im Aufruhr“.
Wer allerdings Antworten auf die Frage erhoffte, wogegen sich der „Protest“ der Girls der 90er wendet oder was sie fordern, wurde enttäuscht. Offenbar geht es heute weniger um neue gesellschaftliche Lebensmodelle als doch wieder nur um popkulturelle Ikonen, demonstrativ zur Schau gestellte Sexualität, Kohle und Kommerz. Cornelia Fleer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen