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Hochburg des Amazonas-Tourismus

Es geht auch anders. Ökotourismus in Ecuador: Pragmatisch bedienen die Quichua-Indianer vom Verein Ricancie die Bedürfnisse gestresster Erstweltler – und haben auch selbst etwas davon    ■  Von Gerhard Dilger

Derzeit kommen über den Verein pro Jahr etwa tausend Gäste aus dem In- und Ausland in die Gemeinschaften

Es ist schon dunkel, als sich das Gemeinschaftshaus von Capirona füllt: Jugendliche, Alte und Frauen mit ihren Säuglingen setzen sich auf die langen Bänke am Rande der rechteckigen, mit Palmenblättern überdachten Halle. Vorne werden Verstärker und Lautsprecher installiert, die Instrumente angeschlossen und gestimmt. Der Dorfälteste verteilt Zigaretten unter den Anwesenden – alles ist bereit zur Verabschiedung unserer internationalen Reisegruppe aus dem ecuadorianischen Regenwald. Santiago, der uns drei Tage lang in einige Geheimnisse der Quichua-Kultur und ihrer Waldgebiete in Ostecuador eingeführt hat, stellt uns noch einmal einzeln vor. Dann spielt eine fünfköpfige Gruppe zum Tanz auf: César, Dorfvorsteher, Leiter des touristischen Programms in Capirona und Bootsmann, zeigt sich heute als Sänger und Gitarrist. Der fünfzigjährige Domingo fidelt auf einer selbst gebauten Geige, und im Hintergrund betätigen drei Jugendliche Schlaginstrumente. Männer und Frauen jeden Alters kommen auf uns zu und fordern uns ganz ungeniert zum Tanzen auf. Die hypnotischen Weisen der Band erinnern entfernt an die Musik des Andenhochlandes.

Von Capirona aus ist es nicht weit bis in die Provinzhauptstadt Tena, die man in einer sechsstündigen Busreise von Quito aus erreicht. Diese Nähe zur Hauptstadt hat die gesamte Region des Alto Napo zu einer Hochburg des Amazonastourismus gemacht. In Tena und im benachbarten Puerto Misahualli bieten Dutzende von Reisebüros Urwaldexkursionen für Rucksacktouristen an, aber auch für zahlungskräftigere Reisende, die in komfortablen „Jungle Lodges“ untergebracht werden. Für die dort wohnenden Gemeinschaften ist diese Art von kaum kontrolliertem Tourismus nur selten ein Segen: Die Gewinne fließen in die Taschen von externen Reiseveranstaltern, und immer noch ist es gang und gäbe, dass die Indianer von den vorbeireisenden Ausländern so schamlos bestaunt werden, als seien sie exotische Tiere. Doch das sind längst nicht die schlimmsten Bedrohungen, mit denen sich die indianischen Bewohner konfrontiert sehen: Vorrückende mestizische Siedler, Holzfirmen und multinationale Ölgesellschaften, die bereits andere Teile der ecuadorianischen Amazonasregion verwüstet haben, machen den Quichuas das Leben schwer. Zukunftsperspektiven gibt es vor Ort kaum, und viele Bewohner suchen ihr Glück in den Wirtschaftszentren im Andenhochland oder an der Pazifikküste.All dies bewegte vor zehn Jahren die Einwohner Capironas, sich auf das Experiment „Ökotourismus“ einzulassen und Gäste in ihr Dorf zu holen.

„Das sind die yawar panga, Blutblätter“, sagt Santiago und zeigt uns einen Baum mit länglichen, handtellergroßen Blättern, die sich zur Spitze hin rötlich verfärbt haben. „Unsere Frauen verwenden sie zur Milderung von Menstruationsbeschwerden und bei Geburten. Diese andere Pflanze hier verarbeiten wir zu einem Anti-Schuppen-Shampoo. Wir nennen sie puzco panga, das Blatt, das Schaum macht.“ Wir haben die Viehweiden am Rande der Schotterpiste hinter uns gelassen und befinden uns am Beginn der ersten längeren Wanderung durch den Primärwald. Die Schatten der Urwaldriesen machen die Mittagshitze ertäglich, und immer wieder halten wir inne, um Santiagos Erklärungen über Flora und Fauna zu folgen. Riesige metallisch glänzende Schmetterlinge in leuchtendem Blau kreuzen unseren Weg.

Auf dem Weg zu unserer ersten Unterkunft in Salazar Aitaca begleiten uns drei Quichuas, darunter der 24-jährige Santiago, der seine Kindheit in Capirona verbrachte, dann aber in Tena aufwuchs. Er ist das beste Beispiel dafür, dass viele Tieflandindianer ein Arrangement mit der „weißen“ Zivilisation suchen möchten, ohne dabei ihre eigenen Wurzeln zu verleugnen. Nach seinem Militärdienst und Studien in Quito beschloss Santiago, im Tourismusprojekt seiner Heimatgemeinde mitzuarbeiten. Nebenbei gibt er Taek-won-do-Unterricht. „Es war schwierig, nach den vielen Jahren, die ich außerhalb Capironas verbracht habe, das Vertrauen der Leute zurückzugewinnen“, erzählt Santiago. „Vor allem den Alten musste ich beweisen, dass ich mich für die Gemeinschaft einsetze und nicht in erster Linie zu meinem eigenen Vorteil. Von ihnen habe ich viel über unsere Traditionen gelernt.“ Wie seine Altersgenossen aus den Dörfern ist Santiago zweisprachig und zieht am liebsten T-Shirts und Jeans an.

Doch so locker er sonst wirkt – als wir an die heiligen Stätten der Quichuas kommen, sprechen Ehrfurcht und Überzeugung aus seinen Worten. „Wir müssen die Natur um Erlaubnis bitten, bevor wir uns der 'Kaskade des Blitzes‘ nähern.“ Vor dem eindrucksvollen Wasserfall, dessen Fluten dreißig Meter in die Tiefe stürzen, verneigt er sich und zerbröselt einige Ingwerknöllchen im Wind. Einige Stunden später erläutert er uns in einer abgelegenen Schlucht fachkundig die eingeritzten Figuren und Symbole an den Felsbrocken, die früher regelmäßig von den Schamanen aufgesucht wurden.

Die Cabañas von Salazar Aitaca sind einfache, geräumige Unterkünfte mit einer Dusche und einer Toilette im westlichen Stil. Die Dorfbewohner haben sie vor wenigen Jahren nach dem Vorbild Capironas in Gemeinschaftsarbeit gebaut. Mittlerweile haben sich zehn Dörfer im Verein Ricancie („Indianisches Netzwerk des Alto Napo für interkulturelles Zusammenleben“) zusammengeschlossen, der von einem Büro in Tena aus die touristischen Programme organisiert. Derzeit kommen über den Verein pro Jahr etwa tausend Gäste aus dem In- und Ausland in die Gemeinschaften. „Diese Zahl möchten wir verdreifachen“, so der Projektgründer Tarquino Tapuy, der ebenfalls aus Capirona stammt. „Als Hilfe von außen haben wir nur einige Kleinkredite zum Bau der Unterkünfte und Zuschüsse für Ausbildungsmaßnahmen akzeptiert, denn wir möchten unabhängig bleiben. Aus diesem Grund müssen sich interessierte Reisegruppen auch direkt an uns wenden.“ Selbst auf der Expo 2000 stellt sich Ricancie vor – aufgenommen als vorbildliches Projekt für die „Zukunft der Arbeit“.

Angeboten werden sechs Basisrouten für vier- bis sechstägige Ausflüge mit Transport und Rundumverpflegung an, die auf Wunsch der Reisenden auch kombiniert werden können. Hauptbestandteil: ausgedehnte Wanderungen durch den Urwald und die Kontaktaufnahme mit den jeweiligen indianischen Gemeinschaften. Darüber hinaus hat jede Tour ihre eigenen Höhepunkte: Besuche eines ethnografischen Museums etwa oder einer Tierforschungsstation, Kanufahrten und Vorführungen von Heilpraktiken.

Auf der zweistündigen Wanderung nach Capirona erzählt uns Santiago, dass sich die Gemeinschaft vor sieben Jahren erfolgreich gegen den Versuch einer nordamerikanischen Firma gewehrt hat, eine Ölleitung durch das Dorfgebiet zu verlegen. Die Einwohner Capironas ließen sich jedoch nicht einfach kaufen.

RicancieE, P. O. Box 243, Tena (Napo), Ecuador. Tel./Fax: +593 6 887 072, E-Mail: ricancieinteractive.net.ec. Man kann man sich auch vor Ort einer Reisegruppe anschließen – vorher anrufen! Preis pro Tag und Nase: 45 US-Dollar.

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