Auf der Galerie, absteigend

Die deutschen Außenminister verkörperten stets den Common Sense der Bundesrepublik. Das machte sie populär und unangreifbar. Spätestens mit der Steinmeier-Affäre ist dieses Bild Geschichte

VON RALPH BOLLMANN

Frank-Walter wer? Der Mann, der in diesen Tagen die Schlagzeilen zumindest der überregionalen Presse in Deutschland beherrscht, ist vielen Menschen gänzlich unbekannt. Bevor die Kurnaz-Affäre dem Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu ungewohnter Medienpräsenz verhalf, wusste nach Umfragen jeder vierte Deutsche nichts mit seinem Namen anzufangen.

Zwar arbeiten im schwarz-roten Kabinett der grauen Mäuse noch weitere Minister im Verborgenen – Franz-Josef Jung etwa (Verteidigung), Michael Glos (Wirtschaft) oder Sigmar Gabriel (Umwelt). Aber dass es ausgerechnet den Außenminister trifft, ist ein historisches Novum. Stets war der deutsche Chefdiplomat einer der bekanntesten wie auch der beliebteste Politiker im Lande.

Das galt nicht nur für den zwei Jahrzehnte lang amtierenden Hans-Dietrich Genscher oder den Popstar Joschka Fischer, sondern auch für die vergleichsweise blasse Figur des Lückenbüßers Klaus Kinkel. Ganz zu schweigen von Willy Brandt und Walter Scheel, die aus dem Außenamt den Sprung auf den Kanzler- beziehungsweise Präsidentenposten schafften.

Die zwei Fundamente

Der Außenminister war, nicht nur in den Glanzzeiten des Genscherismus, ein Mythos der alten Bundesrepublik. Westbindung und Entspannungspolitik: Auf diesen beiden Fundamenten ruhte die auswärtige Politik seit den späten Sechzigerjahren, und seit die Union mit ihrem Widerstand gegen die Ostverträge gescheitert war, gab es auf diesem Politikfeld auch keine ernsthaften Konflikte mehr.

Selbst der erbitterte Streit um die Raketenrüstung Anfang der Achtzigerjahre blieb erstaunlicherweise nur am Kanzler hängen, nicht am Außenminister. Dem innenpolitischen Streit um Rentenkürzungen oder Gesundheitsreformen enthoben, vertrat der Chef des Außenamts den Common Sense der Republik.

Dass es mit diesem Common Sense vorbei sein würde, zeichnete sich schon nach der Wiedervereinigung ab, auch wenn es die Öffentlichkeit lange nicht zur Kenntnis nehmen mochte. Noch Genscher selbst unternahm mit der eigenmächtigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens einen Schritt, der mit dem Konsensprinzip des alten Genscherismus brach – in dessen Abglanz sich Nachfolger Kinkel ein letztes Mal sonnen konnte.

Bei Joschka Fischer konnte dann zwar von Konsens keine Rede sein. Der Farbbeutel auf dem Grünen-Parteitag, die Debatte um seine Vergangenheit als Steinewerfer, der Visa-Untersuchungsausschuss: Kein Minister vor ihm stand so sehr im Zentrum parteipolitischen Streits. Doch ging es bei Fischer noch nicht um den Abschied vom Konsens.

Neue Realitäten

Ganz im Gegenteil. Dass ausgerechnet dieser Mann den Posten besetzte, der wie kein anderer den Konsens der Republik verkörperte, erzürnte seine Gegner links wie rechts. Wäre Fischer nicht so populär gewesen, hätten ihn linke Grüne wie rechte Konservative nicht so erbittert bekämpft. Vom Kosovokrieg bis zur Visa-Affäre konnte er aber die Realitäten einer neuen Außenpolitik nicht ausblenden, die längst selbst zum Gegenstand des Streits geworden war.

Der Mythos des Außenministers wurde am Ende seiner Amtszeit von einem neuen Topos abgelöst: der Außenminister, der vor dem Untersuchungsausschuss steht, alles abstreitet und dabei keinesfalls eine gute Figur macht.

Unangenehme Situation

Fischers Demontage vor dem Visa-Ausschuss markiert den Anfang vom Ende von Rot-Grün, und dass Steinmeiers Lage so sehr an Fischers Endphase erinnert, macht die Lage für den aktuellen Amtsinhaber nicht angenehmer. Das gilt umso mehr, als Steinmeier nun von den Lebenslügen rot-grüner Außenpolitik eingeholt wird. Man protestierte medienwirksam gegen Guantánamo und die amerikanische Irakpolitik, man reformierte das Staatsangehörigkeits- und Zuwanderungsgesetz – und tat dann doch alles, um den Inländer Murat Kurnaz wie einen Ausländer zu behandeln, ihn im öffentlich kritisierten Foltergefängnis buchstäblich schmoren zu lassen.

Retten könnte ihn allenfalls, dass es Volkes Stimme ähnlich sieht wie die Bild-Zeitung. „Warum ist eigentlich die deutsche Regierung für diesen Türken zuständig?“, fragte das Blatt am Dienstag. Und gestern dann: „War der ‚Bremer Taliban‘ wirklich so harmlos?“

Als allerletzte Hoffnung bliebe dem Außenminister das Verblassen seines eigenen Mythos. Ein weithin unbekannter Politiker, der mit einer schwer durchschaubaren Affäre kämpft: Das reicht, anders als bei Fischer, womöglich nicht für Großbuchstaben – auch wenn die Vorwürfe weit schwerer wiegen.

So wäre das Einzige, was Steinmeier noch retten könnte, gerade seine mangelnde Popularität.