: Nur kalte Dusche für Obdachlose
Die CSU in Neu-Ulm und ein Spender streiten um den Einbau eines 500-Liter-Warmwasserboilers in einem Obdachlosenheim. Wohnungslose müssen schon seit Jahren ohne warmes Wasser leben
AUS NEU-ULM RÜDIGER BÄSSLER
Hier am Stadtrand in Neu-Ulm wohnt sonst kein Mensch. Eingeklemmt zwischen der Halle eines großen deutschen Drogisten und den Fabrikationshallen eines Softgetränkeherstellers ducken sich die braun-grauen Zweckbauten des Nuißlheims an den morastigen Boden. Von den Mauern des Nuißlheims, das nach einem Vorkriegs-Oberbürgermeister benannt wurde, blättert der Putz. Die wahren Schrecknisse verbergen sich aber im Innern der ausgemergelten Gebäude.
Einzelne Öfen ersetzen eine zentrale Heizungsversorgung. Warmes Wasser gibt es nicht, gab es auch noch nie. Die derzeit rund 80 Männer, Frauen und Kinder, die hier nicht wohnen, sondern notgedrungen hausen, müssen sich kalt waschen und duschen, auch im Winter.
Die örtliche CSU mit ihrem Oberbürgermeister Gerold Noerenberg an der Spitze sah nie einen Anlass, das zu ändern. Die Leute hier sollten es sich nicht zu bequem machen, schauen, dass sie wieder hinauskommen, am besten ins Arbeitsleben oder eben sonst wo hin. Das ist die Mehrheitsmeinung im örtlichen Gemeinderat. So war das schon unter Noerenbergs gefeierter Amtsvorgängerin Beate Merk, bevor sie als CSU-Justizministerin nach München wechselte.
Kalt duschen macht hart und hält den schläfrigen Geist in Schwung – dieses pädagogische Prinzip verfolgte die CSU-Mehrheit auch, als 2004 beschlossen wurde, aus Sicherheitsgründen einen Gebäudeteil abzureißen und durch einen 700.000 Euro teuren Neubau zu ersetzen. Wieder wollten Noerenberg und die Seinen verhindern, dass eine Warmwasserversorgung installiert wird.
Nach einer Häufung öffentlicher Proteste kam es wegen dieser Frage im Juni 2005 zu einer Kampfabstimmung im Gemeinderat. Knapp scharte die Opposition eine Mehrheit zusammen, die ausreichte, Noerenbergs Pläne zu durchkreuzen. Dann geschah über Monate wieder nichts.
In diesem Jahr delegierte die Stadt die Bauplanung für das Nuißlheim erst einmal an ein externes Planungsbüro. Es präsentierte dem Bauausschuss des Gemeinderats kürzlich die Absicht, einen 175 Liter fassenden Warmwasserboiler zu installieren. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Erne, der in der Sitzung saß, beantragte, doch lieber einen 500-Liter-Boiler zu kaufen. „Ich habe selber mal einen 200-Liter-Boiler eingebaut und die Erfahrung gemacht, dass da kaum eine warme Badewanne rausgekommen ist“, sagt er. Ernes Vorschlag wurde niedergestimmt.
Nun hätten die Planungen weiter ihren bedächtigen Lauf nehmen können, wenn sich vergangene Woche nicht aus Ulm der Unternehmer Walter Feucht gemeldet hätte. Er hörte von der Boiler-Posse und hielt sie zunächst für einen „Schilderbürgerstreich“, wie er sagt. Feucht ist Backmittel-Fabrikant, hat außerdem eine Event-Agentur in Berlin und wurde im letzten Jahr wegen seines vielfachen sozialen Engagements mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Feucht rief den Architekten des Nuißlheims an und sagte: „Da machst du jetzt einen 500-Liter-Tank rein und schickst mir die Rechnung.“ Die Reaktion der örtlichen CSU ließ nicht lange auf sich warten. Auf Einmischungen aus dem benachbarten Ulm reagiert man traditionell gereizt. Der Fraktionsvorsitzende der Christsozialen fragte in der nächsten öffentlichen Gemeinderatssitzung spitz, wer dann die zusätzlichen Stromkosten für den größeren Boiler trage. „Da waren noch ein paar andere, die das auch wissen wollten“, erinnert sich SPD-Mitglied Erne.
Unternehmer Feucht, der mal ein paar Jahre für die Freien Wähler im Ulmer Gemeinderat saß, fragt sich seither, „ob die nicht mehr alle Tassen im Schrank haben“. Er sei gerne bereit, auch die Folgekosten noch zu übernehmen, notfalls rufe er selbst bei den Stadtwerken Ulm an, sagte er der taz.
Nun wartet die Öffentlichkeit darauf, ob die Obdachlosen von Neu-Ulm tatsächlich mehr Warmwasser verbrauchen dürfen, als ihnen zugemessen war. Realschullehrer Erne blättert verlegen in den Sitzungsunterlagen und sagt leise: „Es ist manchmal schwer, Mitglied in diesem Rat zu sein.“
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