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Literat im Bundestag

Auf den Blättern, die ins Plenum segelten, ging es nicht um die Gesundheitsreform – sondern um einen Roman

BERLIN taz ■ Als Max H. mit seiner Maus jüngst beim Tierarzt war, gab es Anlass, über die Gesundheitsreform nachzudenken. Mäuserich Max bekam Anti-Milben-Tropfen, Herrchen Max wurde um 4,50 Euro ärmer. Das erschien ihm nicht besonders billig oder teuer, aber es brachte ihn auf die Idee, dass es im Gesundheitswesen immer irgendwie ums Materielle geht: „Wenn Schulmediziner und Apotheker aus Protest gegen zweifelhafte Gesundheitsreformen schließen, dann machen sie dies als Heuchler und nur aus einem Grund: für mehr Geld.“

H. ist der Mann, der Flugblätter regnen ließ, als der Bundestag über die Gesundheitsreform abstimmte. Alle dachten: Jetzt steht der Bürger gegen diese vermaledeite Reform auf, ziviler Ungehorsam!

Die Wahrheit ist profaner, aber auch poetischer. Max H. hatte seine Tribünenkarte längst bestellt, als der Termin für Drucksache 16/3950 – die Gesundheitsreform – festgelegt wurde. „Aber ich fand das cool, dass jetzt alle da waren, Angela Merkel, Franz Müntefering und so.“ Der 22-Jährige hatte sich lange darauf vorbereitet – seinen existenzialistischen Roman abzuwerfen, „mein Leben in den Abgrund fallen zu lassen“, sagt er.

Auf einem der Blätter werden die Abgeordneten die Passage von Max und Max finden. Es ist Seite 46 der „Notizen eines Einzelgängers“, die einzige Stelle, die von der Gesundheitsreform handelt. Ansonsten geht es um Kiffen, Mädchen, immer wieder auch um Politik. Ein hübsches Durcheinander, für das ein Jungliterat wie Benjamin von Stuckrad-Barre wohl ein fünfstelliges Honorar kassiert hätte. Nicht so H. Er hat jetzt ein Verfahren am Hals. Nur weil er wollte, „dass die Abgeordneten etwas bekommen, das nicht von einem Lobbyisten stammt – sondern aus der Unterschicht“. CIF

www.notizen-eines-einzelgaengers.de

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