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Heute zu wenig Studenten, morgen zu wenig qualifiziertes PersonalAuf dem Weg zum Problem Nr. 1

So kann man sich irren. Seit Jahren steht das Problem der Arbeitslosigkeit im Zentrum der deutschen Politik. Was auch immer Politiker, Unternehmer oder Gewerkschafter bislang vorschlugen, von der 35-Stunden-Woche und üppigen Vorruhestandsregelungen bis hin zu Ein-Euro-Jobs oder Lohnzuschüssen – fast immer gingen sie davon aus, dass es auf absehbare Zeit keine Arbeit für alle geben würde. Zumindest aber keine Jobs mit angemessenem Lohn- und Anforderungsprofil.

Nun haben die Unternehmer nachgerechnet und sind zu einem Schluss gekommen, den angesichts der demografischen Entwicklung längst jeder hätte ziehen können: Bald könnte der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften, wenn nicht an Arbeitskräften überhaupt, die Arbeitslosigkeit als gegenwärtig wichtigstes politisches Problem von der Agenda verdrängt haben. In manchen Regionen Ostdeutschlands hat die Abwanderung der jungen, mobilen oder auch nur halbwegs qualifizierten Werktätigen schon jetzt ein Ausmaß erreicht, das den Mangel an geeignetem Personal zum größten Hindernis neuer Firmenansiedlungen macht.

Leider tut das deutsche Bildungssystem noch immer so, als gebe es Nachwuchs im Überfluss – auf allen Ebenen. So war die Einführung des kurzen Bachelor-Studiums theoretisch eine gute Idee, um mehr Schulabgänger auf die Hochschule zu locken. In der Praxis wurde mit deutscher Gründlichkeit jedoch ein bürokratisches Monstrum erschaffen, das potenzielle Studierende sogar abschreckt. Und am anderen Ende der Qualifikationsskala leistet sich das Land Hauptschulen, die ihren Absolventen nur eine einzige Botschaft vermitteln: Sie werden nicht gebraucht.

Für die Unternehmen, deren Engagement in Sachen Bildung sich zuletzt vor allem auf Schimpftiraden über den schlecht qualifizierten Nachwuchs beschränkte, stellen die gestern präsentierten Erkenntnisse einen heilsamen Schock dar. Sie können sich nicht länger darauf verlassen, dass die Bewerber bei ihnen Schlange stehen und um einen Job betteln. Sie müssen sich schon selbst um Aus-, Fort- und Weiterbildung kümmern – und die längst vergessene Tugend einer langfristigen Personalentwicklung wiederentdecken. RALPH BOLLMANN

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