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„Das Rumgesinge wurde mir zu blöd“

Ein Ultra des 1. FC Lok Leipzig erzählt von der Lust an der Schlägerei und seinem Hass auf das „politisch Korrekte“

Von Athen nach Althen. Die Fanszene von Lok Leipzig zwischen Europacup und Kreisklasse“, heißt das Buch, das der SDV-Verlag kürzlich veröffentlicht hat. Darin findet sich ein Interview mit einem namentlich nicht genannten Lok-Ultra („Sturmhauben auf und rein“), der offen über die Strukturen der Fanszene und deren Motive spricht. Anbei Auszüge des Gesprächs.

… Die Polizeireaktion auf die härtere Gangart der Ultra-Szene wäre so oder so gekommen, durch die Weltmeisterschaft geschah es eben ein bisschen eher und konzentrierter. Der Staat lässt sich doch nicht auf der Nase rumtanzen. Nach den Neunzigern wurde es ja beim Fußball relativ ruhig, und erst, als die Ultra-Szene die Lust an der Gewalt entdeckte, kam es wieder zur Verschärfung … In weiten Zügen nahmen die Ultras doch im und ums Stadion die Rolle der früheren Hools ein. Wenn sich die Hools von heute auf der Wiese treffen, interessiert das doch die Bullen nicht wirklich. Klar, bekommen die das mit, dann sind die auch bestrebt, das zu verhindern oder die Leute zu kriegen. Aber wenn es eben so passiert und keiner merkt es, dann ist denen das, glaube ich, lieber, als wenn es groß an die Öffentlichkeit gerät … Für viele sind die Hools zu unnahbar, zu sehr Tiere, zu abgehoben. Da bieten dann die Ultras das Auffangbecken für Leute, die eben auch Spaß haben wollen in dieser Beziehung, die näher am Fußball dran sind, mit denen man auch reden, wirklich Spaß haben kann, nicht diesen fast militärischen Drill. Körperliche Auseinandersetzung gehört bei den Ultras auch immer mehr dazu. Die klassische Hooligan-Bewegung, wie man sie eigentlich nur noch beim BFC, in Dresden oder noch bei uns hat, wird in der Szene aussterben, mehr und mehr wird sich alles in der Ultra-Szene bewegen …

Wie würdest Du Deine eigene Entwicklung vom „Normal“-Fan zum „Radikalen“ beschreiben?

… Es entwickelte sich so, dass es immer mehr Richtung Support und Ultra ging. Irgendwann gab’s die erste Schlägerei. Das war zwar nicht beim Fußball, sondern auf irgendeinem schnöden Dorffest. Aber es passierte eben mit Kollegen vom Fußball. Irgendwie fanden wir ja daran durchaus Gefallen, und das hat sich dann so schleichend entwickelt. Irgendwann gab’s auch beim Fußball auf die Mütze, diese ganze Sache gab mir so einen Kick, ich denke, das brachte mich auf diese Schiene …

Was ist Dir inzwischen wichtiger, der sportliche Erfolg der Mannschaft oder dass Ihr, als Ultras, besser dasteht als der Gegner?

… Also, der sportliche Erfolg bei Lok dürfte in den Ligen, in denen wir spielen, eigentlich immer gegeben sein. Insofern lässt sich der Teil der Frage nur so beantworten. Das ganze Rumgesinge wurde mir aber auch irgendwie zu blöd. Das mag sicherlich kein Vorbild für den Nachwuchs sein, aber es ist einfach so, in den unteren Ligen geht schlicht und ergreifend nichts. Es ist langweilig, es ist frustrierend, die Dörfer sind Scheiße. Sicher würde mir das gefallen, wenn wir, wie bei Frankfurt oder Dynamo, eine volle Kurve hätten, die singt ohne Ende. Aber das wird es bei Lok wohl nie geben, dafür ist die Szene ganz anders gestrickt. Also, ich würde mich über richtig guten Support freuen, auch wenn wir dem Gegner im körperlichen Sinne die Grenzen aufgezeigt hätten – das wäre mir wahrscheinlich wichtiger …

Könntest Du Dir vorstellen, bei den Ultras auszusteigen?

… Nicht dass ich Nazi bin, aber ich äußere mich schon mal radikaler, weil mich dieses politisch Korrekte ankotzt. Gerade auch von Seiten der Chemiker (früher Chemie Leipzig, heute Sachsen Leipzig; d. Red), die solch inkonsequenten Weichspüler sind. Da muss es von meiner Seite einfach ein echt hartes Ding geben, worüber sich diese Wichser auch mal aufregen sollen. Na, und das passte dann wieder einigen Leuten bei uns nicht. Politisch korrekt ist alles und jeder – das ist einfach nur öde. Deshalb nerven auch die Chemiker. Die sind ja so was von artig, da kommt einem das Kotzen. Und wenn die sich dann auch noch mit ihrem Gesülze wichtig vorkommen, kriege ich einfach ’nen dicken Hals. Aber wegen solchen Sachen gab’s eben auch schon bei uns Theater. Ich weiß, wo die Grenze ist, und ich will auch mal drübergehen, aber wenn dann alles so tierisch ernst genommen wird, dann ist mir das zu blöd …

In Teilen der ostdeutschen Ultra-Szene begeistert man sich an den Auswüchsen in Polen. Wie steht es damit bei den Ultras von Lok?

… Ich wüsste nicht, dass wir mit Polen was zu tun hätten. Ich habe mir die einschlägigen Internetseiten auch angesehen, aber ich kann den ganzen Hype nicht verstehen. Ich kann nicht nachvollziehen, was daran im Speziellen nun so viel geiler sein soll als in anderen Ländern. Ich war zwar noch nie in Polen. Aber es gibt überall Sachen, die mich begeistern, ob das in England, Italien, Spanien oder eben in Polen ist. Aber Polen als gelobtes Land der Fußballkrawalle hinzustellen, kann ich nicht nachvollziehen.

Klar gibt es auch bei Lok ein, zwei Leute, die darauf total abgehen, aber als gesamte Ultra-Gruppierung haben wir hier keinen Bezug dorthin. Polen ist für mich eine normale Fußballnation mit Fußballrowdys wie überall auch. Ich sehe da keinen Bedarf, etwas zu kopieren. Ich denke, Deutschland braucht sich, was die Ultra-Bewegung angeht nicht vor anderen Ländern zu verstecken. Klar können wir hier kein argentinisches, italienisches oder von mir aus polnisches Flair bieten, aber wir haben einfach andere Stärken.

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