Der Schwan an der Scham

Wie verändert eine Schönheitsoperation das Leben? Zu Besuch bei einer Frau, die sich in einer Reality-Show unters Messer legte

VON ELLEN WESEMÜLLER

Nicole Jakob ist ein Schwan. Lange schwarze Wimpern umranden große grüne Augen, dichtes kastanienfarbenes Haar umspielt gebräunte Haut. Ein Lächeln gibt eine Reihe gerader, strahlend weißer Zähne frei. Die 28-Jährige beugt ihren wohlgeformten Körper über den Beifahrersitz, öffnet die Tür des schwarzen Audi und bittet mich mit einer einladenden Geste einzusteigen.

Unter den letzten Sonnenstrahlen des Tages fahren wir durch die niederrheinische Kleinstadt. Und Nicole Jakob fängt sofort an zu erzählen. Sie komme gerade von ihrem neuen Job als Personalfachkauffrau. „Ohne ‚The Swan‘ hätte ich mich nie getraut, mich da zu bewerben.“ Zu sehr genierte die sich. Vor zweieinhalb Jahren hat sie sich dann in der ProSieben-Show vor laufender Kamera auf den Operationstisch gelegt. „Wer schön sein will, muss leiden!“, verkündete die Sendung. Das Konzept versprach: „Die Kandidatinnen arbeiten hart an sich, um vom hässlichen Entlein zum wunderschönen Schwan zu werden.“ Jakob ist ein Schwan, ihre Verwandlung ist perfekt. Vielleicht ein bisschen zu perfekt.

Die umstrittene Reality-Show lud 20 Bewerberinnen für zwei Monate in ein Camp ein. Ein Motivationstrainer, eine Psychologin, eine Ernährungsberaterin und ein Fitnesstrainer sollten dafür sorgen, dass die Frauen „nicht nur oberflächlich zum Schwan werden“. Zahnärzte und Chirurgen schnitten die Körper zu. Jakob kam unter die ersten acht.

Auf dem Weg nach Hause holen wir ihren Mann ab. Sven ist Küchenmonteur. „Aber wir haben leider kein Geld für eine Einbauküche.“ Ein unscheinbarer 34-Jähriger klettert auf den Rücksitz und lächelt verlegen. Er fragt: „Kennst du die Reporterin von der Brigitte? Die war auch schon bei uns.“ Nicole Jakob lacht nervös. Dann ist es für einen Moment still. Sven Jakob fragt vorsichtig: „Hab ich jetzt was Falsches gesagt?“

In einer Reihenhaussiedlung parkt Nicole Jakob. Als sie die Tür zur Wohnung aufschließt, schlägt uns stickige Luft entgegen. Es riecht nach Katze. Schnellen Schrittes steigt Nicole Jakob die Wendeltreppe hinauf. Im niedrigen Wohnzimmer unterm Dach liegt ein heruntergefallener Strauß getrockneter Rosen. Nicole Jakob stellt sich auf die Zehenspitzen und legt die Blumen zurück auf den Dachbalken: „Vor ‚The Swan‘ hätte ich erst mal zwei Tage aufgeräumt, bevor Besuch kommt.“

Kerzengerade sitzt Nicole Jakob in eleganter grauer Hose und eng anliegendem Pulli auf einem ausgeblichenen türkisfarbenen Sofa. Sie erzählt vom Leben vor „The Swan“ und nach „The Swan“. Ihre Stimme ist ruhig und bestimmt. Trotz ihrer auffallenden Offenheit wirken ihre Worte gewählt. Nach jeder Erzählung lächelt sie wie eine freundliche Verkäuferin. „Am 9. 9. 1995 haben wir uns verlobt, um am 9. 9. 1999 zu heiraten.“ Doch dann erkrankte ihr Verlobter an Hodenkrebs. Während seiner langen Krankenhausaufenthalte fühlte sie sich allein und unverstanden. Der Traum von eigenen Kindern schien geplatzt. Von ihren Eltern erwartete sie keine Unterstützung, Freunde gab es nicht. Wenn sie über sich selbst in dieser Zeit redet, sagt sie Sätze wie: „Man war frustriert.“ Und: „Man aß zu viel.“ Sie fand Trost bei einer Internetbekanntschaft: „Man traf sich.“

Für den Bruchteil einer Sekunde hält Nicole Jakob inne und schluckt. Ihre manikürten Finger streichen Strähnen aus der Stirn, die da nicht sind. „Da haben wir gerade so eben die Kurve gekriegt“, kommentiert sie ihre Hochzeit mit Sven 2001. Zwei Jahre später brach der Krebs erneut aus. Während der Chemotherapie war Nicole Jakob wieder einsam. Sie begann, sich in ihrem Körper unwohl zu fühlen. Mit 75 Kilogramm bei 1,65 Metern fand sie sich übergewichtig. Zudem putzte sie zwanghaft: „Es war wie ein Wahn.“

2004 sah das Paar einen Werbespot im Fernsehen. „Möchten Sie sich verändern?“, fragte eine Stimme. Sven Jakob griff für seine Frau zum Hörer: „Das war so ’n kleiner Lichtblick.“ Nach kurzem Zögern sprach Nicole Jakob auf den Anrufbeantworter. Ein paar Tage später lag ein Bewerbungsbogen des Casting-Unternehmens Grundy Light Entertainment im Briefkasten. „Beschreiben Sie die Beziehung zu Ihrem Vater“, forderte dieser die Bewerberinnen auf und fragte: „Gibt es in Ihrer Vergangenheit etwas, was Sie gerne rückgängig machen würden?“ Und: „Waren Sie jemals wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung?“ Nicole Jakob heftete sechs zusätzliche Blätter an den achtseitigen Bogen, um der Firma ihr Leben detailliert zu beschreiben.

„Gerade Frauen versprechen sich von sogenannten Schönheitsoperationen schlicht und ergreifend ein besseres, meist wohl ein ‚normales‘ Leben“, sagt Paula-Irene Villa, Soziologin an der Universität Hannover. „Dabei wird angenommen, dass Menschen, die den Normen perfekt entsprechen, auch glücklicher und erfolgreicher sind.“ Davon ist Nicole Jakob heute noch überzeugt. „Ich komme ja aus dem Personalbereich“, sagt sie. „Da guckt man zuerst, ob jemand nett auf dem Bild aussieht.“ Sven Jakob schiebt eine DVD in den Player. Im Fernseher sieht man eine Frau auf dem OP-Tisch, umhüllt von einem grünen Tuch. Die Brüste sind aufgeschnitten, Blut sickert aus den Wunden. Den Film hat Sven Jakob selbst zusammengeschnitten und mit Musik unterlegt. Sein Steckenpferd, wie er sagt. Nicole Jakob zeichnet mit ihrem Zeigefinger den Schnitt an ihrer Brust nach. „Das ist alles ein bisschen dramatisiert worden“, kommentiert sie die Bilder. Sie habe nicht an Schmerz gedacht. Das Gefühl in den Beinen nach der OP sei dann auch eher „wie ein doller Muskelkater“ gewesen.

Die Ärzte hatten ihren Busen gestrafft, die Zähne gerichtet und außerdem Fett an den Oberschenkeln abgesaugt. Nicole Jakobs Körper war einer von 353.000, die nach Schätzung der Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland 2004 ohne medizinische Notwendigkeit operiert wurden. Ein Trend: Im Vergleich zum Jahr 2000 hatten sich diese Eingriffe fast verdoppelt, so die Statistik der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC). Die Patienten waren zu 87,5 Prozent Frauen.

Ein bisschen zu wenig Fett hatten die Ärzte abgesaugt, fand Nicole Jakob. Deshalb sei sie schon joggen gegangen, bevor die Nähte aus der Brust gezogen waren. Einmal hätte sie ein „nasses Gefühl“ gehabt: „Da dachte ich, ups, jetzt ist was geplatzt.“

Inzwischen läuft im Fernseher Nicole Jakobs Auftritt als „Schwan“, die Schlüsselszene der Sendung. Auf dem roten Teppich schreitet sie in bordeauxrotem Abendkleid einem verhängten Spiegel entgegen. Drei Monate durfte sie sich nicht anschauen. Als der weiße Vorhang fällt, starrt sie ihr Bild lange an. Langsam verzieht sich ihr Mund zu einem Lächeln. „Erst habe ich gedacht, da steht eine Fremde“, erinnert sie sich. „Als die Frau im Spiegel zurücklächelte, habe ich gemerkt, das bin ich.“

Die Premiere von „The Swan“ lockte nach Angaben von ProSieben 2,13 Millionen Zuschauer vor den Fernseher. Kurz danach verwies eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach die Operationsshow auf Platz drei der Sendungen, die am häufigsten „die Grenzen des guten Geschmacks“ verletzen. Laut Spiegel nannte der damalige VDÄPC-Präsident Rolf Rüdiger Olbrisch die Ärzte und Kandidatinnen der Operationsshow „Charakterkrüppel“. Dazu kann Nicole Jakob nur den Kopf schütteln: „Das bin ich nicht.“

Kathy Davis von der Universität Utrecht fand in einer Studie heraus, dass die meisten Frauen mit Stolz und Triumph über ihre Schönheitsoperation berichten. Fast jede sagt aus, dass sie zu einer „total veränderten Person“ geworden sei. Die Wissenschaftlerin interpretiert dies als Äußerungen eines gestärkten Selbstbewusstseins. Schönheitsoperationen seien individuelle Strategien der Frauen, denen keine andere gesellschaftliche Möglichkeit zur Verfügung stehe. „Da war ’ne Menge drum herum, nicht nur die Operationen“, sagt auch Nicole Jakob über „The Swan“. Durch die Gespräche mit dem Motivationstrainer sei ihr klar geworden, dass sie sich selbst gegenüber nicht ehrlich war. „Jetzt sage ich nicht mehr zu allem Ja und Amen.“ Sie komme leichter mit Menschen ins Gespräch und habe Freunde gefunden. Vor kurzem sind die Jakobs mit neuen Bekannten vom „Fitnessstudio Aktiv“ zusammengezogen: „Ich habe noch nie mit jungen Leuten zusammengelebt“, sagt Nicole Jakob. In wenigen Monaten wird es einen weitere Veränderung geben. Sie ist im fünften Monat schwanger.

Für das Training im Fitnessstudio schlüpft Nicole Jakob in sportliche Kleidung. So als ob sie sich den Trumpf bis zum Schluss aufbewahren wollte, flüstert sie verschwörerisch: „Und noch etwas hat sich verändert seit ‚The Swan‘.“ Sie zieht das Bündchen ihrer schwarzen Adidas-Hose nach unten und gibt den Blick frei auf die nackte braune Haut an der Leiste. Hier, zwischen Oberschenkel und Scham, schwimmt ein Schwan. Nicole Jakob streicht über das Tattoo und lächelt triumphierend: „Das Logo der Sendung.“

ELLEN WESEMÜLLER, Jahrgang 1980, lebt als freie Autorin in Hannover