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Darwinismus in der Biobranche

Seit die Discounter auf den Markt mit Öko-Produkten drängen, stehen traditionelle Marken unter Druck. Einige halten sich bewusst von den Handelsriesen fern. Andere liefern heimlich an Lidl und Co. Für ihr Marketing könnten beide mehr tun

AUS NÜRNBERGMALTE KREUTZFELDT

Der Vormarsch von Discountern und klassischen Lebensmittel-Einzelhändlern auf dem Biomarkt ist unübersehbar. Plus (BioBio) und Lidl (Bioness) drängen ebenso mit eigenen Marken ins Geschäft wie Edeka (Bio Wertkost) und Tengelmann (Naturkind). 2006 ging fast das gesamte Wachstum im Biomarkt von 16 Prozent auf das Konto der neuen Wettbewerber.

Auf der Messe BioFach in Nürnberg sehen die Pioniere der Branche die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. „Eigentlich kann die Szene stolz sein, dass Bioprodukte endlich ein allgemeines Bedürfnis geworden sind und die Großen einsteigen“, sagt Alice Fridum, Geschäftsführerin des traditionsreichen Öko-Herstellers Allos. Doch obwohl praktisch alle großen Einzelhandelsketten bei Allos angefragt haben, gibt es die Marke selbst nur im Biofachhandel. Fridum: „Wir wollen unsere Stammkunden nicht vergraulen und unsere Handelsspanne nicht kaputtmachen.“ Zudem seien die Zielgruppen unterschiedlich: „Während wir für eine Lebenshaltung stehen, gibt es beim Discounter einfach nur Produkte.“

Auch Neumarkter Lammsbräu, seit 25 Jahren Hersteller von Biobier, hält Abstand zu Discountern. „Wir hatten Anfragen, ob wir Eigenmarken für große Ketten produzieren“, berichtet Marketingchef Berthold Winkler. Das habe das Unternehmen jedoch abgelehnt. Lediglich bei klassischen Handelsketten wie Metro und Karstadt ist das Biobier mittlerweile im Sortiment.

Doch woher bekommen die Discounter bei dieser Zurückhaltung traditioneller Produzenten überhaupt die großen Mengen Bioprodukte für ihr Sortiment? Der öffentlich deklarierte Abstand der etablierten Biohersteller ist nur die halbe Wahrheit. Viele beliefern doch andere Anbieter – allerdings unter einem fremden Logo, damit die eigene Marke keinen Schaden nimmt. Dass die Naturkosmetikfirma Lavera unter dem Zweitnamen „Blütezeit“ auch für Discounter produziert, ist bekannt. Doch viele andere Hersteller möchten sich nicht öffentlich dazu äußern, welche Eigenmarken fremder Unternehmen sie beliefern.

Zudem steigen immer mehr konventionelle Anbieter ins Geschäft ein und starten eigene Biolinien, um vom derzeitigen Boom zu profitieren. So hat Sarotti Ende letzten Jahres eine Bioschokolade ins Sortiment aufgenommen. Auch Flensburger stellte auf der BioFach als erste große Brauerei ein Bier mit Biosiegel vor.

Dieser Trend wird sich fortsetzen, prognostiziert Unternehmensberater Volker Laengerfelder, der die Branche schon lange beobachtet: „Wir steuern auf eine neue Konkurrenz von Bio gegen Bio zu.“ Um sich in diesem Markt zu behaupten, müssten sich die traditionellen Hersteller auf ihre Stärken besinnen. „Zwischen ‚Bio aus Überzeugung‘ und ‚Bio als Business‘ gibt es einen Unterschied“, sagt Laengerfelder. „Doch den müssen die Biomarken sichtbar machen, indem sie die dahinter stehenden Geschichten erzählen.“ Genau auf diese Strategie setzt die Neumarkter Brauerei: Im Internet ist zu sehen, welche Bauern die Gerste liefern, zudem engagiert sich die Firma bei Kampagnen gegen Gentechnik.

Auch am äußeren Erscheinungsbild müssten viele Biofirmen noch arbeiten, wenn sie sich auf dem Markt behaupten wollen, kritisiert Werbeexperte Tim Hackert-Wilberg. Er hat den Auftritt vieler Anbieter für eine Studie untersucht. Sein Fazit: „Im Biobereich gibt es viele Labels, aber nur wenige echte Marken.“ Namen und Erscheinungsbilder seien zwar professioneller geworden, aber oft austauschbar: „Schauen sie sich mal Biomarmeladen an, da sieht ein Etikett aus wie das andere.“

Damit seien viele Hersteller nicht auf den bevorstehenden Markteintritt der großen Anbieter vorbereitet, so Hackert-Wilberg. „Wir erleben derzeit einen Bio-Darwinismus: Nur Firmen, die sich der neuen Entwicklung anpassen, werden auf Dauer überleben.“

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