Schöneberg macht’s ohne

Trotz vieler HIV-Neuinfektionen spart sich der Senat die Beratungsstellen in Schöneberg und Mitte

VON MATTHIAS LOHRE

Die „Hauptstadt der HIV-Infizierten“ spart an den Beratungsstellen für Aids und sexuell übertragbare Krankheiten. Während die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Berlin auf hohem Niveau verharrt, beschloss der Rat der Bürgermeister am Donnerstagabend überraschend, zwei der sechs Anlaufstellen bis Ende Juni zu schließen. Die Bestätigung der Rats-Entscheidung durch den Senat gilt als Formsache. Von der Schließung betroffen sind die Beratungszentren in Schöneberg und Mitte.

Zwar waren Behördenvertreter bereits Anfang 2006 übereingekommen, nicht alle sechs Anlaufstellen für Präventionsarbeit in dieser Form beizubehalten. Die sozialmedizinischen Dienste und Aids-Beratungsstellen sollen in drei so genannten Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung gebündelt werden: in Friedrichshain-Kreuzberg, Marzahn-Hellersdorf und Mitte. Das Benjamin-Franklin-Klinikum in Steglitz und die Schöneberger Beratungsstelle am Innsbrucker Platz sollten demnach gemeinsam das vierte Gesundheitszentrum bilden. Statt Mitte erhielt nun Charlottenburg-Wilmersdorf den Zuschlag, auch Schöneberg bleibt außen vor.

Die Gesundheitsstadträtin von Tempelhof-Schöneberg, Sibyll Klotz (Grüne), sieht darin mehr als die bloße Kürzung von zwei Arzt- und vier Sozialarbeiterstellen in ihrem Bezirk: „Auf steigende HIV-Infektionszahlen reagiert der Senat mit einer Verringerung der Angebote.“ Laut Robert-Koch-Institut stagnierte die Zahl der Neuinfektionen in Berlin 2006 auf hohem Niveau. 420 Menschen infizierten sich mit HIV, im Jahr zuvor waren es 450. 225 Personen erkrankten 2006 an Aids. Insgesamt lebten Ende 2006 9.900 Menschen in Berlin mit HIV oder Aids. Damit liegt die Hauptstadt weit über dem Bundesdurchschnitt. Ein Sechstel aller 56.000 Erkrankten in Deutschland lebt an der Spree.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit pocht auf Sparzwänge. „Hätten wir Tempelhof-Schöneberg ein Zentrum zugestanden, hätte uns das 160.000 Euro gekostet“, sagt Staatssekretär Benjamin Hoff (Linkspartei). In diesem Fall hätte der Bezirk mehr Berater aufgewiesen, als der Bund mitzufinanzieren bereit ist.

Trotz des Neins zu Tempelhof-Schöneberg müsse die dortige Beratung nicht leiden, urteilt Hoff. „Der Bezirk hat viele private und öffentliche Träger zu bieten, die ähnliche Leistungen erbringen können.“ Zum nun beschlossenen Kompromiss der Bezirksbürgermeister könne er stehen, sagt der Staatssekretär. Letztlich sei es bei der Entscheidung darum gegangen, die neuen Zentren möglichst gleichmäßig über die Stadt zu verteilen.

Ausgerechnet in der Schwulenhochburg Schöneberg zu kürzen, hält die zuständige Fachbereichsleiterin im dortigen Gesundheitsamt, Ruth Hörnle, für fatal. Es sei nicht gleichgültig, in welchem Bezirk Beratungsgespräche, HIV-Tests und medizinische Untersuchungen angeboten würden. „Viele Menschen erreichen wir nur mit Vor-Ort-Maßnahmen“, sagt Hörnle. „Beispielsweise beraten wir Prostituierte auf dem Strich.“ Auch persönliche Gespräche in der Beratungsstelle seien durch keine Plakatwerbung ersetzbar.

Zudem ginge es nicht nur um die Aids-Beratung, argumentiert Hörnle. „Die Zahl der Syphilis-Infektionen unter Homosexuellen nimmt in Berlin zu.“ Über die Risiken wüssten selbst viele Erkrankte nicht Bescheid.