: Regierung terrorisiert Abgeordnetenhaus
Koalition verordnet dem Parlament eine Debatte über Terror und organisierte Kriminalität. Wozu, weiß sie selbst nicht
Wer bislang nicht am Regierungswillen des Senats gezweifelt hat, der tut es seit gestern. SPD und Linkspartei selbst hatten „Terrorismus und organisierte Kriminalität“ zum Inhalt der Aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus durchgeboxt – obwohl andere Themen weit drängender sind. Doch weit bezeichnender war, dass Rot-Rot zum selbst gesetzten Thema wenig zu sagen hatte. Die Opposition konnte ihr Glück kaum fassen.
SPD-Innenexperte Thomas Kleineidam mühte sich, die nur lose verbundenen Themen in seiner Rede zusammenzwingen. Ähnlich den folgenden Rednern mischte er munter Themen wie 1.-Mai-Randale, den Abschuss von Zivilflugzeugen, die Bespitzelung privater Computer und Migrationspolitik. Alle Debattenbeiträge streiften in buntem Reigen Dinge, die mal der Gesetzgebung des Bundes obliegen, mal jener der Länder.
Auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vermochte nicht zu begründen, warum seine Partei so dringend über Terror zu debattieren wünschte. Die sogenannten Antiterrorgesetze des Bundes und deren Umsetzung in Berlin seit 2001 hätten sich bewährt. Die „entscheidende Frage der nächsten Jahre“ sei, wie man auf muslimische Gemeinden zugehe, um Radikalisierung einiger ihrer Mitglieder zu verhindern. Das Islamforum Berlin – ein Forum islamischer Organisationen – habe sich da seit seiner Gründung Ende 2005 bewährt.
Weil die Debatte ohnehin keinen aktuellen Bezug aufwies, bot CDU-Innenpolitiker Frank Henkel eine Rede von zeitloser Unbestimmtheit: „Jugendbanden“ versetzten „ganze Viertel in Angst und Schrecken“, orakelte Henkel ohne Ortsnennung. Leider nehme gleichzeitig „die Zahl der Abschiebungen“ deutlich ab.
FDP und Grüne nutzten die Gelegenheit, den Aktionismus von Rot-Rot und CDU vorzuführen. Für die FDP stellte Björn Jotzo fest: „Die Bedrohungslage ist nicht neu.“ Spätestens seit den vereitelten Anschlägen auf den Straßburger Weihnachtsmarkt Ende 2000 sei die terroristische Gefahr bekannt.
Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann rief ins Parlamentsrund: „Es gibt keinen einzigen aktuellen Grund“, zu diesem Zeitpunkt über innere Sicherheit zu reden. Als der Grüne urteilte, zu „brennenden Fragen“ habe Rot-Rot seit Amtsantritt vor fast hundert Tagen nichts zu sagen, applaudierten sogar FDP und CDU. MATTHIAS LOHRE
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