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Neuer Streit ums Bleiberecht

Bund will Frist für Jobsuche bis 2009 verlängern, Länder beharren auf Abschiebungen noch dieses Jahr. Von der Neuregelung haben bislang nur wenige Flüchtlinge profitiert

„Für die Menschen gibt es weiter keine Lebensperspektive“

MÜNCHEN taz ■ Gut drei Monate nach dem Nürnberger Kompromiss der Innenminister zum Bleiberecht gibt es neuen Ärger. Die unionsgeführten Länder sperren sich gegen ein abschließendes Bundesgesetz, auf das sich die Regierungskoalition eigentlich schon geeinigt hat. Hauptstreitpunkt ist das Zeitkriterium. Günther Beckstein (Bayern, CSU) oder Uwe Schünemann (Niedersachsen, FDP) beharren darauf, dass von den bislang 175.000 geduldeten Menschen nur in Deutschland bleiben darf, wer bis zum 30. September 2007 einen Job gefunden hat.

Gemeinsam mit weiteren Kriterien wie Straflosigkeit und eigenem Wohnraum ist diese Frist ein Kernpunkt des Kompromisses vom vergangenen November. Die Bundesregierung will in ihrem Gesetzentwurf diese Frist dagegen bis 2009 verlängern. Auf taz-Anfrage hieß es aus dem Bundesinnenministerium, dass dies angesichts der schwierigen Jobsuche sinnvoll sei.

Auch Flüchtlingsorganisationen klagen über die Länderverordnung. In der Praxis mahlen die Mühlen der Länderverwaltungen laut Pro Asyl allerdings so langsam, dass kaum eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird – in Bayern bislang lediglich in 214 Fällen, in Niedersachsen in 69 Fällen. Einen entsprechenden Antrag gestellt hatten in diesen beiden Ländern insgesamt 3.649 Menschen.

Es gibt jedoch auch Zehntausende, die überhaupt keine Chance auf einen sicheren Aufenthaltstitel haben. Denn neben den Kriterien Job, Wohnung, Sprache und Straffreiheit ist ein Mindestaufenthalt in Deutschland von mindestens acht Jahren vorgesehen, bei Familien von sechs Jahren. Stichtag ist nach der derzeitigen Regelung der 17. November 2006.

So bleiben etwa Menschen wie Amir Habib dauerhaft ohne Perspektive. Am Freitag ist der Münchener Hauptschüler siebzehn Jahre alt geworden. Seine Familie war 2002 aus dem Irak geflohen, als der Bruder zu einer Sondereinheit des damaligen Diktators Saddam Hussein einberufen wurde.

Inzwischen leben die Habibs zu fünft in einer Flüchtlingsunterkunft an der Münchner Messe, die drei Söhne gehen zur Schule, während die Eltern zum Nichtstun verdammt sind. „Mein Vater sagt: Ein Jahr mehr in diesem engen Zimmer bringt mir nichts“, berichtet Amir. „Er will zurück, trotz des Krieges, etwas anderes bleibt nicht.“ Mit dem Ankunftsdatum 2002 verfehlt Familie Habib bei weitem die Sechsjahresfrist, die ihnen zumindest eine Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis geben würde.

„Die Regelung vom November 2005 war ein einmaliger Gnadenakt“, beklagt Tobias Klaus vom Bayerischen Flüchtlingsrat, der die Familie Habib betreut. „Für viele Menschen gibt es weiterhin überhaupt keine Lebensperspektive.“ So seien neben Flüchtlingen, die den Stichtag verpasst hätten, auch Kranke und Alte ohne jede Chance. Sie könnten oft nicht arbeiten, aber auch nicht zurück in ihre Herkunftsländer.

Offen ist angesichts des Streits zwischen Union und SPD, zwischen Bund und Ländern, wie es mit dem Bleiberecht weitergeht. Im September läuft die derzeitige Länderregelung aus. Möglich sind eine Verlängerung oder doch noch ein Bundesgesetz – oder gar keine Einigung, mit den oft kritisierten Folgen für die geduldeten Menschen: quartalsweise verlängerte Kettenduldungen ohne jeder Perspektive und Sicherheit. MAX HÄGLER

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