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Ugandas Kriegsopfer trotzen der Angst

Die brutale Rebellenbewegung LRA im Norden Ugandas will ab heute wieder kämpfen, der Waffenstillstand mit der Regierung ist vorbei. Aber in den Kriegsgebieten, wo seit ein paar Monaten Frieden blüht, rechnet man nicht mit neuen Angriffen

AUS KITGUM MARC ENGELHARDT

Die Geschäfte im Zentrum von Kitgum sind frisch gestrichen. Manche leuchten rot in der Farbe des einen, andere gelb in der Farbe des anderen Mobilfunkanbieters. Entlang der Hauptstraße parken vollbeladene Lastwagen. Noch vor einem Jahr konnte diese Kleinstadt im Norden Ugandas nur aus der Luft erreicht werden – heute hat sie sich zu einem brummenden Handelsposten entwickelt, seit die vom selbsternannten Propheten Joseph Kony geführte „Lord’s Resistance Army“ (LRA) im vergangenen Herbst nach 20 Jahren Partisanenkrieg einen Waffenstillstand ankündigte und Friedensgespräche mit der Regierung von Yoweri Museveni begann. Doch der Traum vom Frieden ist vorbei: Ab heute, so hat LRA-Vizekommandeur Vincent Otti angekündigt, greifen Konys Kindersoldaten wieder zu den Waffen.

Von Angst ist dennoch nichts zu spüren in Kitgum, das unter den brutalen Übergriffen der LRA vielleicht am schlimmsten gelitten hat. 48 Bewohner eines Dorfs nahe Kitgum wurden Ende Juli 2002 in einem Massaker ermordet, das selbst für die Verhältnisse der sehr brutalen LRA besonders blutrünstig war: Erwachsene wurden mit Macheten und Messern in Stücke gehackt, Kinder mit ihrem Kopf so lange gegen Bäume geschlagen, bis der Schädel entzweibrach. Solche Traumata vergisst eine Bevölkerung nicht, glaubt der katholische Pater Josef Gerner, der in Kitgum mit dem deutschen Hilfswerk Missio arbeitet.

„Irgendwann war es selbstverständlich, dass jeden Tag aufs Neue Kinder verschwanden“, erinnert sich Gerner an die schlimmste Zeit des Krieges. Ständig neue Kinder brauchte Joseph Kony: Jungen ab acht Jahren für seine Armee, Mädchen für die Hausarbeit und als Sexsklavinnen. Auf einem umzäunten Hof zwischen einem Krankenhaus und einem Mädchenpensionat kümmerte sich Gerner in der besonders schlimmen Zeit zwischen 2002 und 2006 um bis zu 900 Kinder. Mehr als 7.000 kamen jede Nacht aus den umliegenden Flüchtlingslagern hinzu, um während der Dunkelheit Konys Häschern zu entgehen.

Heute ist Gerners Hof leer, trotz der neuen LRA-Drohungen. „Vor Weihnachten sind die letzten großen Gruppen von Kindern hier abgezogen“, sagt der 72-Jährige. Die meisten leben in neu aufgebauten „Satellitenlagern“, in deren Umland sie Felder bestellen und Vieh hüten können. Mehr als 100.000 Flüchtlinge, so schätzen Hilfswerke, leben in den Lagern rund um Kitgum, in ganz Norduganda sind es mehr als eine Million. Die meisten brennen darauf, endlich wieder ein normales Leben zu führen. „Eigentlich wollen die Leute in die Dörfer auf ihr angestammtes Land zurück, aber die Armee lässt sie nicht, angeblich aus Sicherheitsgründen,“ so Gerner. Berichte, dass die Regierung in Kampala Ländereien im großen Stil verkauft, haben die Flüchtlinge verunsichert. Sie wollen zurück und ihren Besitz sichern – das Risiko eines LRA-Angriffs nehmen sie dafür in Kauf.

„Aber die LRA wird nicht angreifen“, sagt anonym ein Oberst der ugandischen Armee. „Nachdem Konys Soldaten sechs Monate lang an den Sammelpunkten im Südsudan ausgeharrt haben, hat er die militärische Initiative verloren. Die LRA ist nur noch auf der Flucht.“ Im unerschlossenen Osten der Zentralafrikanischen Republik soll ein Teil der Rebellen gelandet sein, andere werden im sudanesisch-kongolesischen Grenzgebiet vermutet. Weit genug weg von Kitgum.

Doch Armee und Regierung sind im Norden Ugandas jetzt noch ungeliebter als die Rebellen aus dem Busch. Schuld an dem Scheitern des Friedensprozesses, da sind sich die Kitgumer einig, ist Ugandas Regierung. Viele der oft schwer traumatisierten LRA-Rückkehrer glauben bis heute an Konys Unschuld. „Es sind nur seine Kommandeure, die sich wie Gorillas aufführen, er selbst ist ein gottesfürchtiger Mann“, sagt der 21-jährige Godfrey Odokonyero. Und der 29-jährige Schuldirektor Cyprian Komakech, der in einem Flüchtlingslager unterrichtet, ist sich sicher: „Die LRA will den Frieden, aber Museveni lässt sie nicht. Er will den Norden klein halten.“ Wenn Konys verwahrloste Truppen bald doch wieder in Kitgum einfallen sollten, so scheint es, könnte der Hass der Bevölkerung vor allem Konys Gegner treffen.

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