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Die Opposition hat keine Chance

Mehr als zwei Drittel der Stimmen im Bundestag gehören der großen Koalition. Kleine Parteien fühlen sich machtlos

„Die Verfassungsväter gingen vom Regelfall einer kleinen Koalition aus“

BERLIN taz ■ So sehr sich die drei Oppositionsfraktionen im Bundestag normalerweise bekriegen – in einem sind sie sich einig: Sie kommen zu kurz. Die Mehrheit der großen Koalition sei „überwältigend“, klagen Grüne, FDP und Linksfraktion unisono. Ihnen bliebe kaum eine Chance, an der Gesetzgebung mitzuwirken oder ihre Kontrollfunktion wahrzunehmen. „Die große Koalition ist Gift für die Demokratie“, findet Dagmar Engelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion.

Die Regierung verfügt über eine dicke Zweidrittelmehrheit im Bundestag und kann damit sogar die Verfassung ändern. Die Opposition dagegen schafft es nicht einmal dann, wenn alle an einem Strang ziehen, die Eindrittelhürde zu überspringen. Diese ist notwendig für eine Reihe von Kontrollmechanismen. Heute werden daher alle drei Fraktionen Anträge auf mehr Rechte für die Opposition in den Bundestag einbringen.

Kritikpunkt eins: Das Grundgesetz sieht vor, dass das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen kann. Dieses Verfahren darf aber nur die Bundesregierung, eine Landesregierung oder mindestens ein Drittel des Parlaments beantragen – nicht also die Opposition, nicht einmal alle drei Fraktionen gemeinsam. „Da müssen wir uns fragen, ob die Prinzipien unserer Demokratie eigentlich noch gewährleistet sind“, schimpft Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. „Die Verfassungsväter gingen vom Regelfall einer kleinen Koalition aus.“

Auch FDP-Fraktionschef Guido Westerwelle ist sich sicher: „Diese Konstellation haben die Verfassungsgeber nicht vorgesehen.“ Die FDP schlägt vor, die Schwelle von „einem Drittel der Abgeordneten“ auf „ein Viertel“ herabzusetzen. Die Linksfraktion geht noch weiter: Sie verlangt, dass bereits die Stimmen einer einzelnen Fraktion ausreichen, um das Kontrollverfahren in Gang zu setzen.

Kritikpunkt zwei: die Verteilung der Redezeiten. Die Grünen bemängeln in ihrem Antrag, dass zur besten Zeit, der „Kernzeit“ im Bundestag, die Redebeiträge im Verhältnis drei zu eins zugunsten der Regierung vergeben würden. „Das sieht dann so aus, dass nach dem sechsten Redebeitrag die Selbstgespräche der großen Koalition beginnen und sich die Reihen leeren“, kritisiert Beck. Seine Fraktion plädiert deshalb für Rede und Gegenrede, also das Recht der Opposition, in gleicher Länge auf einen Beitrag von Regierungsseite zu antworten.

Kritikpunkt drei: die Einberufung von Sondersitzungen des Bundestags. Auch hierzu ist ein Drittel der Stimmen nötig. Die FDP will die Schwelle auf ein Viertel senken, die Linke auf eine einzelne Fraktion. Ebenso soll es der Opposition leichter gemacht werden, einen Untersuchungsausschuss zu beantragen.

Das Problem an der gemeinsamen Oppositionsinitiative: Sie hat kaum eine Chance, gerade weil ja die drei kleinen Fraktionen nur auf etwa 27 Prozent der Stimmen kommen. Und ob sich Abgeordnete der großen Koalition dafür gewinnen lassen, ihre eigenen Rechte zu beschneiden, ist fraglich. „Das ist doch alles nur Show“, heißt es aus der SPD-Fraktion. Die Forderung der Linksfraktion sei „absurd“ – wenn „am Ende sechs Prozent der Abgeordneten“ bei jedem Gesetz das Verfassungsgericht anrufen, wäre der gesamte Gesetzgebungsprozess lahm gelegt. Überhaupt: Dies sei nur mit einer Änderung des Grundgesetzes möglich – „und das ist schon starker Tobak!“, findet man bei den Sozialdemokraten.

Für Volker Beck ist „dieser Antrag selbst ein gutes Beispiel“ für die Einschränkung der Opposition: „Es blieb uns nichts anderes übrig, als ihn Freitagnachmittag, also nicht gerade zur Kernzeit, unterzubringen. Sonst wäre er irgendwo Donnerstagnacht gelandet.“

KATHARINA KOUFEN

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