: Kurt Beck will feiern – egal was
Rot-Schwarz? Rot-Grün? Rot-Sonst-was? Die Bremer SPD verrät nicht, mit wem sie regieren will. Der Parteichef in Berlin denkt: Hauptsache, wir siegen!
VON JENS KÖNIG UND BENNO SCHIRRMEISTER
Welche Regierung er wählt, das weiß kein Bremer Wähler. Eine Koalitionsaussage hat die SPD bewusst vermieden – schließlich befindet sie sich in dem kleinsten Bundesland in der komfortablen Situation, dass ohne sie keiner regieren kann, auch nach diesem Sonntag nicht. Das mit nur 30 Seiten dünn geratene Wahlprogramm „Gemeinsam Zukunft gestalten“ hält sich ebenfalls alle Türen offen. Voll gewahrt – die Anschlussfähigkeit zu den Grünen. Aber zugleich wird ein Konfliktkurs gegenüber der CDU, seit zwölf Jahren Juniorpartner in der Landesregierung, höchstens in bundespolitischen Fragen wie dem Mindestlohn versucht. Anstehende Koalitionsverhandlungen dürfte das kaum belasten.
Eine nachvollziehbare Haltung. Denn einerseits ist nicht auszuschließen, dass, bei Einzug mehrerer kleiner Parteien in die Bürgerschaft, keine rot-grüne Mehrheit möglich ist: Die Linke hat gute Chancen, die FDP auch, rechts außen kommt die DVU nach den jüngsten Umfragen auf 4 Prozent. Andererseits ist die Rolle der Umworbenen eine, die vor Kritik schützt. Zwar herrscht die SPD in Bremen seit Kriegsende ununterbrochen, aber ihr kreidet niemand etwas an: weder den immensen Schuldenberg noch die 60 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegende Arbeitslosenquote oder die Skandale des vergangenen Jahres – ganz zu schweigen von den aktuell mit viel Zorn debattierten Hochschulkürzungen.
Die CDU hält in derlei Fragen still. Und die Grünen kloppen auf sie ein, manchmal stichelt ein Genosse sogar mit. Dabei sind doch die zuständigen Ressorts von SPD-Ministern geführt. Als strategisches Ziel der Grünen hat deren Spitzenkandidatin Karoline Linnert „die Äquidistanz“ zu den möglichen Bündnispartnern benannt. Die umkämpfte Mitte erobert haben jedoch die Sozialdemokraten.
Rein rechnerisch hätte die große Koalition bereits vor vier Jahren beendet sein können. Damals war aber Henning Scherf zur Wiederwahl angetreten – mit einer klaren Absage an Rot-Grün. Dass sich die SPD-Mitglieder nach Scherfs Rückzug 2005 für Jens Böhrnsen und nicht für den ungleich bekannteren Bildungssenator Willi Lemke als Nachfolger aussprachen, war vielfach als erster Schritt zur Beendigung der großen Koalition verstanden worden. Schon vier Jahre zuvor war der Verwaltungsrichter als Fraktionschef in der Bürgerschaft installiert worden, um etwas Pfeffer ins allzu harmonische Verhältnis zwischen Christ- und Sozialdemokraten zu streuen. Mit Erfolg: Furore machte er mit einer 2004 vorgelegten Bilanz der Scherf-Ära aus Sicht der Fraktion. Ihr Titel: „Lethargie und Stillstand“.
Seit Böhrnsen als Präsident des Senats amtiert, hält sich der 57-Jährige jedoch bedeckt. Und die Partei folgt ihm. Allenfalls Indizien für eine Präferenz dringen nach außen. Da ist beispielsweise die Böhrnsen-Wahlbroschüre, die zwar die rot-schwarzen Jahre „erfolgreich“ nennt – aber auf die Erwähnung des bekennenden Großkoalitionärs Scherf verzichtet. Gewicht erlangen vieldeutige, in Diskussionszusammenhängen gefallene Sätze – etwa die unscharfe Einsicht von SPD-Landeschef Uwe Beckmeyer, dass „eine rot-grüne Koalition für Bremen keine Revolution“ wäre. Nur eine Möglichkeit hat Spitzenkandidat Böhrnsen bereits ausgeschlossen: ein wie auch immer geartetes Bündnis mit der Linkspartei.
Und die Genossen in Berlin, die unter der großen Koalition auf Bundesebene leiden? Denen scheint die Frage, ob in dem kleinen Bundesland dort oben im Norden Rot-Schwarz oder Rot-Grün oder Rot-Sonst-was regiert, fast egal zu sein. Hauptsache, es wird unter der Führung der Sozialdemokraten regiert. Und noch viel größere Hauptsache: Kurt Beck kann am Sonntagabend endlich mal wieder einen sozialdemokratischen Sieg verkünden und öffentlich feiern. Nach der Kloppe der vergangenen Wochen hat der angeschlagene SPD-Chef das bitternötig. Den Rest darf Genosse Böhrnsen entscheiden.
Natürlich denken nicht wenige in der Parteiführung, eine rot-grüne Koalition in Bremen käme der SPD ganz gelegen. Angela Merkel und der Union könnte so auf elegante Weise zu verstehen gegeben werden, dass eine große Koalition nicht das Glück auf Erden bedeutet. Aber das wissen sie in der CDU und CSU ohnehin schon. „Bei allem Respekt vor Bremen“, sagt also SPD-Generalsekretär Hubertus Heil diese Woche, „es wäre vermessen, zu behaupten, dieser Sonntag sei eine Testwahl für die Bundestagswahl 2009“.
Viel interessanter ist für die SPD-Spitze die Beobachtung, dass die Bremer Genossen mit dem Thema Mindestlohn Punkte gemacht haben. Wenn die Annahme richtig ist, dass mit der Union eine Einigung darüber sowieso nicht zu erzielen ist, dann könnte sich daraus ein Wahlkampfschlager entwickeln. Und viel mehr als einen Koalitionspartner sucht die SPD für 2009 ja ein Gewinnerthema. Der Mindestlohn – das könnte es sein.
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