: „Ich traue Berlin alles zu“
B. ALJINOVIC & D. RAACKE
In einem Hinterhof in Mitte stehen Dominic Raacke (48) und Boris Aljinovic (39) für ihren nächsten „Tatort“ vor der Kamera. Die Geschichte um den Mord an einem Ministerialbeamten ist der 17. Einsatz der Berliner Ermittler Ritter und Stark. 2001 folgte Aljinovic auf Raackes damaligen Partner. Mittlerweile gehört der Berliner „Tatort“ zu den beliebtesten Beiträgen der ARD-Reihe. Das Interview begann in der letzten Drehpause des Tages und wurde zwei Stunden später fortgesetzt, während das Team sich schon über das Abendessen hermachte. Kein Problem für die TV-Ermittler: Warten gehört zum Job. Warten müssen auch die Zuschauer: Die Folge wird im Dezember gesendet.
INTERVIEW DAVID DENK
taz: Herr Raacke, Herr Aljinovic, Dominic Raacke hat 2001 mal gesagt, dass die ähnliche Stimmlage wohl Ihre größte Gemeinsamkeit ist. Stimmt das 2007 immer noch?
Dominic Raacke: Wir sind schon sehr unterschiedliche Typen – nicht nur physisch, sondern auch, wie wir so drauf sind. Wie wir denken, wie wir reden.
Im „Tatort“ haben sich Ihre Figuren in den vergangenen sechs Jahren spürbar einander angenähert.
Raacke: Unterschiedlichkeit und Nähe schließen sich doch gegenseitig nicht aus. Natürlich sind wir uns über die Jahre nähergekommen – genau wie die Figuren: Wir lagen ja sogar schon im selben Bett im letzten Film.
Boris Aljinovic: Nur frühstückend aber!
Warum wünscht man sich als Zuschauer bloß immer, dass sich in der Realität widerspiegelt, was man im Fernsehen sieht?
Raacke: Der Zuschauer kennt ja nur die Rolle. Und deswegen interessiert es ihn so sehr, ob man auch privat so ist, wie man sich im Fernsehen zeigt. Hinter die Dinge sehen zu wollen, wissen zu wollen, ob das Haus echt ist oder nur Kulisse, die von hinten mit Holzbalken abgestützt wird – das ist doch ein zutiefst menschlicher Instinkt.
Andererseits gibt’s für einen Schauspieler ja kein schlimmeres Etikett als: Der spielt immer nur sich selbst.
Raacke: Das ist der Zwiespalt, mit dem wir zu leben haben. Da haben wir beide unsere Strategien entwickelt, damit umzugehen – indem wir nämlich völlig andere Sachen machen: du am Theater, und ich versuche im Fernsehen andere Rollen zu spielen, auch Mörder, wie neulich fürs ZDF.
Aljinovic: Klar ist der „Tatort“ das Prominenteste, was wir machen, und überlagert deswegen den Rest. Aber nur noch „Tatorte“ zu drehen, das wäre gruselig.
Raacke: Beziehungsweise nur noch „Tatorte“ drehen zu können, weil man so mit der Rolle verwachsen ist, dass man gar nicht mehr anders besetzt wird.
Was ist die häufigste Bemerkung, wenn Zuschauer Sie ansprechen?
Raacke: Sie sind ja viel größer als im Fernsehen.
Aljinovic: Das sagen sie zu mir nicht.
Raacke: Sondern was: Sie sind ja viel kleiner als im Fernsehen?
Aljinovic: Das sagen sie auch nicht. Mich grüßen die Leute immer mit „Na, Herr Kommissar“ und freuen sich diebisch drüber.
Raacke: Wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin, verteilt sie jedes Mal, wenn ich erkannt werde, „Bingos“. Wenn ich für jeden „Bingo“ einen Euro bekommen würde, wäre das gar kein schlechter Nebenverdienst.
Aljinovic: Dann würdest du viel mehr spazieren gehen.
Raacke: In der U-Bahn allerdings, wo es mir eher peinlich ist, angesprochen zu werden, verstecke ich mich meistens hinter einem Buch – besonders wenn gerade ein neuer „Tatort“ gelaufen ist.
Aljinovic: Eigentlich ist Bahnfahren noch schlimmer. Da sitzt man rum, alle sind kultiviert, und dann entwickelt sich ein Gespräch, das man nicht mehr aufhalten kann.
Raacke: Mit dir oder über dich?
Aljinovic: Mit mir. Ungefähr so: „Na, Sie lesen da gerade wohl ein neues ‚Tatort‘-Drehbuch.“ Ja, ja. „Darf ich da mal einen kurzen Blick reinwerfen?“ Bitte! „Wie ist denn das Buch so?“ Och, na ja, also … Und wenn man dann sagt, ich glaube, ich muss mir mal ’nen Kaffee holen: „Ich komm mit.“ Nein!!
Raacke: Aber es gibt auch sehr diskrete Fans, etwa den, der mir neulich im Flugzeug ein Briefchen geschrieben hat, weil er mich nicht beim Textlernen stören wollte.
Klingt ein bisschen bieder.
Aljinovic: Der „Tatort“ ist halt gutbürgerliches Familienfernsehen mit Tradition, wo die ARD zeigt, was sie hat.
Gucken Sie privat auch „Tatort“?
Raacke: Ganz, ganz wenig. Wenn es sich ergibt, du Zeit und Lust hast, schaltest du ein – und guckst es aber selten bis zum Ende an. Die meisten in unserer Branche sitzen wesentlich weniger vor dem Fernseher als der Durchschnittszuschauer.
Fernsehmacher sind also Fernsehvermeider?
Aljinovic: Hiesige fiktionale Produktionen guck ich letztlich immer als Konkurrenzprodukt. Entspannen kann ich nur bei Tiersendungen.
Raacke: Zu unseren eigenen „Tatort“-Filmen haben wir nicht den nötigen Abstand. Deswegen ist es gut, hin und wieder bei den anderen Kommissaren reinzugucken, weil man das viel mehr auf sich selbst beziehen kann als das eigene Produkt. Man analysiert viel kühler – sieht, was funktioniert und was nicht und vor allem, warum.
Aljinovic: Beim Herstellen eines „Tatorts“ prallen so viele Einzelinteressen aufeinander, dass es äußerst schwer ist, unter diesen Umständen einen Film herzustellen, mit dem alle zufrieden sind. Ich bin schon froh, wenn ich das Gefühl habe, dass alle in diesem wabernden Interessenapparat so halbwegs mit Humor dabei sind und denken: Die Richtung stimmt.
Wie häufig hatten Sie in den 16 bereits gesendeten Fällen dieses Gefühl?
Raacke: Hundertprozentig gelungen ist keiner unserer „Tatorte“. Ich glaube, es waren so jeweils drei ziemlich gute und richtig schlechte Filme, der Rest lag irgendwo dazwischen.
Aljinovic: Wir beide haben Filme wie „French Connection“ im DVD-Regal. Wenn man die anguckt und mit unseren vergleicht, kann man zu gar keinem anderen Ergebnis kommen. Dieses Gefälle verliert man nie aus den Augen.
Raacke: Es ist Teil unseres Berufsbildes, mit dem Unfertigen, mit der Unzufriedenheit fertig zu werden und daran zu arbeiten. Das lässt uns laufen. Und wenn man irgendwann mal das Klingeln des Jackpots hören sollte, würde man deshalb nicht aufhören, sondern sich sagen: So einen machen wir noch mal.
Aljinovic: Das eigene Glücksgefühl darf kein Maßstab sein, weil es trügerisch ist. Ich würde Disziplin und Glücksgefühl strikt trennen. Das geht manchmal zusammen, aber die Welt ist eigentlich nicht dafür gemacht, dass man nur fürs Glücksgefühl arbeitet. Denn man arbeitet auch für eine Kontinuität. Der „Tatort“ ist ein Produkt, das gepflegt werden will.
Warum sind Krimis so beliebt?
Raacke: Meine Theorie, warum Krimis, aber auch Ärzteserien so populär sind, ist: Weil es um den Tod geht, in unserem Fall um Mord und Totschlag. Um ganz böse Dinge, von denen wir wissen, dass es sie gibt und wir alle damit irgendwann einmal konfrontiert werden: durch den Tod von Angehörigen oder den eigenen. Krankheit und Verbrechen sind Tabuthemen, die wir mit Krimis auf eine unterhaltsame Weise berühren.
Also Themen, mit denen wir außerhalb des Fernsehens möglichst nichts zu tun haben wollen.
Raacke: Um Gottes Willen! In was für Situationen wir in unseren Rollen geraten: Ob das das Überbringen einer Todesnachricht ist oder jemanden vom Springen abzuhalten. Was wir als Figuren in unseren Fällen an Elend, Schrecken und Leid erlebt haben, ist ja schier unerträglich. Das Letzte, was ich im wirklichen Leben sein wollte, ist ein Kommissar.
Haben Sie als Rüstzeug für Ihre Rollen auch den Kontakt zu echten Kommissaren gesucht?
Aljinovic: Es gab ein paar Begegnungen, die ich sehr beeindruckend fand, zum Beispiel mit einer Kommissarin, die sehr viel mit Kinderschutz zu tun hat – Wahnsinn! Das hat nichts zu tun mit der Welt der Unterhaltung, die daraus Opern macht. Wir sind Dilettanten, die auf dicke Hose machen. Man sollte sich immer dessen bewusst sein, dass unsere Fälle ganz wenig mit dem Alltag von Leuten zu tun haben, deren Job es ist, da draußen aufzuräumen. Mit denen will keiner von uns tauschen.
Was zeichnet Berlin als Krimi-Standort aus?
Raacke: Ich traue Berlin alles zu. Jede Geschichte, die in Deutschland im „Tatort“ erzählt wird, kann in Berlin spielen, aber nicht jede am Bodensee. Und diese Stadt sieht verdammt gut aus. Berlin hat die besten Schauplätze Deutschlands. Was wir hier schon alles abgefilmt haben! Andere Tatorte werden immer in derselben Fabrikhalle gedreht.
Aljinovic: Die ARD definiert die „Tatorte“ als Heimatfilme. Jede Region soll sich profilieren und sich dem Zuschauer präsentieren. Eine Haltung zu Berlin im Film zu entwickeln, finde ich allerdings schwer. Einerseits wollen wir der Hauptstadt-Krimi sein, andererseits ist der RBB auch verpflichtet – denn auch das ist Berliner Realität –, den weitläufigen Provinzialismus zu zeigen; die Kontrastreichheit diese Stadt ist größer als woanders, und das kann man nur schwer fassen. Ein klares Statement zu Berlin fällt uns viel schwerer als dem Regierenden Bürgermeister mit seinem „Arm, aber sexy“. Das wäre allerdings für 90 Minuten Tatort viel zu platt.
Marzahn und Hellersdorf, also der soziale Rand Berlins, kam bisher ein bisschen kurz, oder?
Raacke: Stimmt. Das liegt an komischen Befindlichkeiten innerhalb der Redaktion. Denn unserer Meinung nach soll der „Tatort“ auch Geschichten von dort erzählen und nicht nur aus Grunewald.
Aljinovic: Dominic und ich reagieren beide mit einer leichten Müdigkeit, wenn wir im Drehbuch etwas von Mord in einer Villa lesen.
Raacke: „Derrick-Alarm!“ schreibe ich dann immer an den Rand. Den Ehrenmord als Thema macht jetzt wohl der NDR, obwohl das in Berlin passiert ist und uns als Thema gut zu Gesicht gestanden hätte.
Woran liegt das?
Raacke: Das liegt auch an der Größe des Senders. Ein Riese wie der NDR federt das ganz anders ab. Man darf auch nicht vergessen, dass die Losung bei unserem Dienstantritt war: Bloß nicht auffallen!
Aljinovic: Es wäre schön, wenn wir nicht der schlechteste „Tatort“ bleiben würden, so bescheiden war die Zielvorgabe damals. Wir sind jetzt allerdings so weit, dass wir schon ein bisschen mehr Selbstbewusstsein haben könnten: Es gab ein paar richtig gute Filme und sogar schon mal eine Nominierung für einen Preis.
Raacke: Von unserem erarbeiteten Standing in der „Tatort“-Welt könnten wir uns Experimente erlauben. Den Mut würde ich der Redaktion wünschen.
Aljinovic: Da sind wir seltsamerweise gar nicht so weit auseinander, wir, die wir so unterschiedlich sind.
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