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Ein Draht zur Gegenwart

Viele katastrophische oder verbotene Beziehungen und Politik nur als Satire: Fünf junge Dramatiker sind zum „Stückemarkt“ des Theatertreffens eingeladen worden. Ihre Stücke werden jetzt als Regieskizzen im Hauruck-Verfahren inszeniert und gelesen

VON IRENE GRÜTER

Zwölf Schauspieler schlängeln sich zu den Klängen von türkischem Pop. Dann nehmen sie auf Stühlen Platz, die in Reihen auf ein DJ-Pult zulaufen. Ein Teppich und drei Kronleuchter müssen genügen, um ein opulentes Hochzeitsfest in Istanbul anzudeuten. Dann macht sich die illustre Besetzung einen Spaß daraus, orientalische Party zu spielen und die stark typisierten Figuren nicht allzu ernst zu nehmen: Hysterisch wirft Astrid Meyerfeldt als türkische Mama die Hände über den Kopf, Burghart Klaußner streckt als Brautvater patriarchalisch die Brust.

„Eine Migrantenhochzeit“ von der türkischen Autorin Müserref Öztürk Çetindogan eröffnete am Freitag den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Wie jedes Jahr bietet der Stückemarkt fünf Jungdramatikern die Möglichkeit, ihre Texte von erfahrenen Regisseuren szenisch einrichten zu lassen. In groben Strichen, wie auf dem Skizzenblock, werden in Berlin dann in nur drei Tagen mögliche Inszenierungsweisen entwickelt. Gerade dieses schnell Hingeworfene, Fragmentarische hat oft einen besonderen Reiz und schafft Raum für die Vorstellung, wie ein Stück auf der Bühne funktionieren könnte.

Knapp 500 Dramatiker haben sich in diesem Jahr für den Stückemarkt beworben. Seit der Öffnung der Teilnahmemöglichkeit für ganz Europa vor vier Jahren habe sich die Anzahl der eingesandten Texte nahezu verdoppelt, sagt die Leiterin Yvonne Büdenhölzer. Kein Wunder: Der Stückemarkt ist ein Sprungbrett und winkt darüber hinaus mit dem mit 5.000 Euro dotierten Förderpreis und einer Uraufführung am Gorki-Theater. Erstmals wird in diesem Jahr zusätzlich ein Werkauftrag für eine Uraufführung am Schauspielhaus Wien vergeben. Die fünf Dramatiker in der Endauswahl kommen aus Österreich, Finnland, Deutschland, Großbritannien und der Türkei. Bei so viel geografischer Streuung erstaunt es nicht, dass thematische Klammern für die fünf Stücke schwer zu finden sind. Am ehesten noch könnte man es so fassen: eine Häufung von beschädigten Beziehungen als Ausdruck eines umfassenden Sinnvakuums.

„Ich lebe ein Leben, das überhaupt nichts mehr mit mir zu tun hat“, sagt Anna in Volker Schmidts „Die Mountainbiker“. „Mein Mann, meine Tochter sind zu austauschbaren Wesen geworden. Ich spüre nicht mehr, dass ich lebe. Ich kann mich in jede Richtung bewegen, aber es hat keine Konsequenzen.“ In der bürgerlichen Groteske des Wiener Autors beginnt die Mittvierzigerin Anna, neben der gewohnten Spur zu fahren. Sie geht ein Verhältnis mit dem 15-jährigen Thomas ein, der bereits die Höhe seiner Pension ausrechnet und am liebsten Tote zeichnet. „Wir haben keine Beziehung“, erklärt er Anna. „Wir bilden eine Symbiose, um unser Leben voranzubringen.“ Auch „4 1/2“, das Stück der in Berlin lebenden Autorin Arna Aley, erzählt von einer liebeshungrigen Zwanzigjährigen, die verzweifelt nach einem Draht zur Gegenwart sucht. Mit einem Hang zur Selbstzerstörung stürzt sie sich in unmögliche Verhältnisse. „Du nervst!“, antwortet der schwule Joe, als sie ihm wiederholt ihre Liebe gesteht, und stellt sie kurzerhand vor die Tür.

Neben den lakonischen deutschsprachigen Texten wirkt der poetisch raue Ton von Ali Taylor fast ein wenig sentimental. In „Cotton Wool“ erzählt er, ganz britischer Realist, eine klassische Dreiecksgeschichte von zwei Brüdern und einem Mädchen, die sich im prekären Milieu behaupten müssen. Insgesamt fällt auf, dass alle fünf Autoren mit kurzen, der mündlichen Rede abgelauschten Sätzen arbeiten. Die Finnin Maria Kilpi scheint sich mit „Wie ärgerlich!“ am norwegischen Dramatiker Jon Fosse zu orientieren, wenn sie die Alltagssprache aufs Notwendigste entschlackt und Miniatursätze in rhythmische Wiederholungsschleifen schickt. „ob wir mit dem taxi hinfahrn – oder mit dem bus – oder mit dem taxi – oder mit dem bus.“ So klingen die Gespräche zwischen Oma und Enkelin, die das Eigentliche immer haarfein verfehlen.

Die einzige Dramatikerin, die gezielt politische Themen aufgreift, ist Müserref Öztürk Çetindogan. Ihre „Migrantenhochzeit“ spielt satirisch auf die stockende Annäherung zwischen der EU und der Türkei an. Der Moderator der Feier ist ein Transvestit, von Ronald Kukulies mit kessem Hüftschwung gegeben. Deutlich wird aber: Nichts ist authentisch in der globalisierten Welt, keiner weiß, wo er hingehört, befindet sich im Übergang, im Transit-Raum. Die letzte Regieanweisung dieser abgedrehten Groteske beschreibt das Hochzeitsfoto: „Jeder, der ins Bild gerät, ist ein Transvestit geworden.“

Weitere szenische Stückemarkt-Lesungen: heute, 19.30 Uhr: „4 1/2“; 21 Uhr: „Cotton Wool“. Donnerstag, 17. 5., 19 Uhr: „Die Mountainbiker“; 20.30 Uhr: „Wie ärgerlich!“; alle Veranstaltungen im Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24

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