: „Psychologisch haben die Linken gewonnen“
Der Bremer Überraschungssieg der Linkspartei zeigt, dass es bei einem Fünfparteiensystem in Deutschland bleiben wird, meint der Politologe Oskar Niedermayer. Die Linken sind im Westen zu einer wählbaren Alternative geworden
Oskar Niedermayer, 55, ist Parteienforscher an der FU Berlin. In seinen Publikationen hat er unter anderem die Wählerschaft der Linkspartei untersucht oder ist der Frage nachgegangen, inwieweit der dramatische Stimmenverlust der SPD bei der Bundestagswahl 2005 tatsächlich auf die Hartz-IV-Reformen zurückzuführen ist. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt sind rechtsextreme Einstellungen in Deutschland.
taz: Herr Niedermayer, die Bremen-Wahl war eine heftige Klatsche für die große Koalition, die kleineren Parteien haben kräftig hinzugewonnen. Ist das Ende der Volksparteien eingeläutet?
Oskar Niedermayer: Keinesfalls, es wird auch in 20 Jahren noch Volksparteien geben. Natürlich hat die Mobilisierungsfähigkeit abgenommen, wie man besonders bei der Bundestagswahl 2005 beobachten konnte. Das hatte aber eher situationsspezifische Gründe. Ich bezweifle, dass die Bindungskraft weiter dramatisch nach unten geht. Außerdem sollte man nicht den Fehler begehen, von der Bremen-Wahl auf die Bundespolitik zu schließen. Die Bremer haben weitestgehend nach landesspezifischen Gesichtspunkten gewählt.
Die Linkspartei hat in Bremen 8,4 Prozent der Stimmen erhalten und erkennt darin bundespolitische Signalwirkung. Sie sieht sich als fünfte Kraft im Parteiensystem etabliert. Jubelt die Linkspartei zu Recht?
Spätestens mit der Bundestagswahl 2005 hat sich die Linkspartei als fünfte Partei im Parteiensystem etabliert, weil sie ihr traditionelles Wählerpotenzial deutlich erweitert hat. Früher war die PDS eine ostdeutsche Regionalpartei. André Brie nannte die Wählerbasis einmal „die administrative Dienstklasse der DDR“. Sie war nicht unbedingt die Partei der Arbeiter und Geringverdiener, sondern deckte eher die höhere Einkommens- und Berufsstruktur ab. Seit 2004, der Agenda-Politik Gerhard Schröders und den Hartz-Reformen, hat sie sich ihren Wählern dann als die einzig wahre Partei der sozialen Gerechtigkeit präsentiert. Damit rekrutierte sie eine Schicht, die sich von den Großparteien allein gelassen fühlte, insbesondere von der SPD. Diese neue Wählerschicht bringt die Linkspartei auch mittelfristig über die 5 Prozent-Hürde.
Die Linkspartei als Erbe der SPD – erklärt das auch den Bremer Erfolg?
Neben der Erweiterung des Wählerpotenzials gibt es noch einen zweiten Grund: Nicht die PDS ist angetreten, sondern die Linke. Die Partei hat das Odium der ostdeutschen Interessenpartei verloren, weil sie jetzt durch den Zusammenschluss mit der WASG nicht mehr die PDS ist, sondern eine gesamtdeutsche linke Partei. Insofern ist sie für viele linksorientierte westdeutsche Wähler eine Alternative geworden.
Kann die Linkspartei diesen Erfolg auch bei den kommenden Landtagswahlen in Hessen und in Niedersachsen wiederholen?
Es ist unsinnig, wenn sich Vertreter der Linkspartei hinstellen und sagen, durch Bremen sind wir im ganzen Westen etabliert. Die Situation in den einzelnen Bundesländern ist schließlich höchst unterschiedlich. In Bremen haben wir eine Sondersituation, die wir nicht vergleichen können mit Bayern oder Baden-Württemberg. Psychologisch hat die Partei durch Bremen sehr viel gewonnen. Sie kann das auch nutzen zur Motivation ihrer Anhänger bei der nächsten Landtagswahl. Aber jeden weiteren anstehenden Landtagswahlkampf sollte man für sich betrachten.
Die Vereinigungsdiskussion von WASG und PDS zeigte die teils erheblichen Konfliktlinien zwischen beiden Parteien. Wächst mit dem Gründungsparteitag im Juni zusammen, was nicht zusammen gehört?
Der Gründungsparteitag wird nicht alle Konfliktpunkte beseitigen. Der Hauptstreitpunkt liegt in den unterschiedlichen Politikauffassungen. Ist man eher reformorientiert? Oder vertritt man stattdessen politische Auffassungen, von denen man weiß, dass man sie in Regierungsverantwortung gar nicht umsetzen könnte? Dieser Konflikt wird die neue Linke auch weiter begleiten und wieder hochkommen. Momentan wird die Linkspartei aber versuchen, die Euphorie von Bremen auszunutzen.
Der Bremer SPD-Bürgermeister Jens Böhrnsen hat kurz nach dem Wahlsieg Gespräche mit der Linkspartei kategorisch ausgeschlossen, noch bevor sie jemand gefordert hat. Halten Sie das für eine intelligente Zukunftsstrategie?
Die Sozialdemokratie könnte sich wieder in Richtung Sozialstaatspartei bewegen und versuchen, der Linkspartei die Wählerbasis abzugraben. Das ist als Regierungspartei in einer großen Koalition aber sehr schwer. Daher gehe ich davon aus, dass es auch nach der nächsten Bundestagswahl noch ein Fünfparteiensystem gibt. Dann steht die SPD vor der Koalitionsfrage.
Und wie werden sich die Sozialdemokraten verhalten?
Ich räume einem Zusammengehen mit der Linkspartei aus inhaltlichen wie personellen Gründen wenig Chancen ein. Längerfristig muss die SPD aber entscheiden, ob sie eine Arbeitsteilung mit der Linken anstreben will, indem man unterschiedliche Wählersegmente umwirbt und nachher koaliert.
INTERVIEW: VEIT MEDICK
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