: Keine Feuerpause
Trotz einer kurzen Waffenruhe im Nordlibanon gehen die Kämpfe weiter. Die Bewohner des Flüchtlingslagers Nahr el Bared verbreiten Hilfsappelle
BEIRUT dpa/ap/afp ■ Neue Gefechte haben gestern im Libanon die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Konfrontation zwischen der Armee und militanten Islamisten in dem palästinensischen Flüchtlingslager Nahr el Bared zunichte gemacht. Nach Angaben von Sicherheitskräften und palästinensischen Organisationen starben durch die Kämpfe rund um das Lager seit Sonntag 30 libanesische Soldaten, 20 Milizionäre der Fatah al Islam, ein libanesischer Zivilist sowie mindestens 17 palästinensische Zivilisten. Die genaue Zahl der Opfer ist jedoch unklar, da die Armee die Eingänge zu dem Lager abgesperrt hat.
Die Armee hatte in der Nacht eine Waffenruhe angeboten, falls die Extremisten ihre Angriffe auf die Soldaten einstellten. Am Dienstagmittag kündigte auch Abu Selim, ein Sprecher von Fatah al Islam, eine Feuerpause ab 14.30 Uhr Ortszeit an, „um die Evakuierung der Verwundeten und die Versorgung mit Hilfsgütern zu erlauben“. Die Waffen schwiegen jedoch nach Angaben palästinensischer Flüchtlinge vor Ort nur für 40 Minuten. Wer zuerst wieder schoss, blieb unklar. Die Armee erklärte, in einer Wohnung in der Stadt Tripoli, die 16 Kilometer von dem Lager entfernt liegt, habe sich ein Mitglied von Fatah al Islam selbst in die Luft gesprengt, als die Polizei die Wohnung gestürmt habe, in der er sich versteckte.
Bewohner des Lagers richteten über das Fernsehen Hilfsappelle an die Außenwelt. Sie erklärten, die Verletzten würden nicht versorgt. Die Menschen hätten kaum noch Nahrung und Wasser, sagten sie. Der palästinensische Informationsminister Mustafa Barguti sagte in Ramallah, seine Regierung wolle sich nicht in innerlibanesische Angelegenheiten einmischen. Die Zivilisten in den Lagern müssten jedoch geschützt werden. In mehreren palästinensischen Lagern im Libanon kam es am Dienstag zu Protesten gegen die Armee. Der Führer der Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im Libanon, Sultan Abul Ainain, warnte vor einem Aufstand in den palästinensischen Flüchtlingslagern, solle die libanesische Armee den Beschuss von Nahr al-Bared fortsetzen.In Nahr el Bared leben mehr als 30.000 von den Vereinten Nationen registrierte palästinensische Flüchtlinge. Fatah und Fatah al Islam stehen trotz ihrer ähnlichen Namen nicht in Verbindung zueinander.
Drusenführer Walid Dschumblatt forderte gestern eine Entwaffnung aller palästinensischen Milizen in den Lagern. Die zwölf Lager im Libanon, in denen insgesamt rund 380.000 Flüchtlinge leben, werden von den Palästinensern verwaltet. Die libanesischen Sicherheitskräfte haben keinen Zutritt. Dschumblatt beschuldigte die syrische Führung, sie stecke hinter den Machenschaften von Fatah al- Islam.
Zu den zwei jüngsten Sprengstoffanschlägen auf zivile Ziele in der libanesischen Hauptstadt Beirut tauchte gestern ein Bekennerschreiben von Fatah al Islam auf. In der Erklärung hieß es: „Wir haben die libanesische Armee gewarnt und wir haben unser Versprechen jetzt eingehalten.“ Die Echtheit des Bekennerschreibens konnte nicht von unabhängiger Seite bestätigt werden. Am Sonntag und Montag waren in zwei Wohnvierteln in Beirut Bomben explodiert. Eine Frau starb. Insgesamt 22 Menschen wurden verletzt.
Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Polizei habe am Montagabend eine weitere Explosion im Nordosten von Beirut verhindert. Ein Palästinenser und ein Ägypter seien in dem vorwiegend von Christen bewohnten Stadtteil Mansurija mit einer Tasche voller Sprengstoff gefasst worden.
Der Sprecher von Fatah al-Islam, Abu Salim Taha, dementierte das Bekennerschreiben, in dem sich die Gruppe angeblich zu zwei Bombenanschlägen in Beirut bekannt hatte. Die Erklärung, die am Vormittag mehreren Nachrichtenagenturen zugegangen war, stamme nicht von Fatah al Islam, sagte er.
Am Montagabend hatte hatte die libanesische Regierung den Streitkräften freie Hand im Kampf gegen die Fatah al Islam gegeben. Die Armee müsse „das terroristische Phänomen beenden, das den Werten und der Natur des palästinensischen Volkes fremd ist“, sagte Informationsminister Ghasi Aridi nach einem Krisentreffen des Kabinetts.
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