: Mit Gramsci gegen RCTV
In Venezuela wächst der Protest gegen die Schließung des größten Privatsenders durch Präsident Chávez
Der Countdown läuft unerbittlich. Aller Voraussicht nach muss Venezuelas populärster Fernsehkanal RCTV am Sonntag schließen. Wie Präsident Hugo Chávez bereits Ende 2006 verkündete, erneuert die Regierung die Lizenz nicht. Sie führt dafür gerne die „systematische Verletzung der Gesetze“ durch den Sender ins Feld, vor allem dessen tatkräftige Unterstützung des 48-Stunden-Putschs gegen Chávez im April 2002.
RCTV und die bürgerliche Opposition laufen Sturm. Am Montag trugen Journalisten und Studierende ein ein Kilometer langes Spruchband mit der Aufschrift „SOS Meinungsfreiheit“ durch Caracas. Auch das internationale Echo ist beträchtlich. „Chávez missbraucht die Regulierungsmacht des Staates, um ein Medium für seine Kritik an der Regierung zu bestrafen“, erklärte Human Rights Watch. Die von konservativen Verlegern dominierte „Interamerikanische Pressegesellschaft“ sieht gleich den ganzen Kontinent um „mehr als 30 Jahre zurückgeworfen“.
RCTV wird durch den öffentlichen Sender „Teves“ (Soziales Venezolanisches Fernsehen) ersetzt, der für „unabhängige Produzenten“ offen sein und sich an der BBC orientieren will. „Das wird ein Spaßkanal, der Unterhaltung mit den Werten des Landes verbinden wird, an das wir Venezolaner glauben“, kündigte Informationsminister Willian Lara an. Zudem werde „Teves“ eine „strategische Allianz mit dem Bildungssystem“ eingehen.
Dass der Oberste Gerichtshof noch die Regierungsorder aufhebt, ist unwahrscheinlich. Venevisión and Televen, zwei Sender, die im April 2002 ebenso euphorisch wie RCTV den Putsch begleitet hatten, erhielten hingegen eine fünfjährige Verlängerung, eine Belohnung für ihre bedeutend zahmer gewordene Berichterstattung.
Um die Nichtverlängerung der Lizenz zu begründen, hat Chávez jüngst den Kommunisten Antonio Gramsci ins Feld geführt: „Die Oligarchie verliert eine der Institutionen, mit denen sie ihre Hegemonie gesichert hat“, rief der Staatschef und feierte das „Ende einer Konzession an einer Privatfirma nach mehr als einem Jahrhundert“, die der kapitalistische Staat damals einer „dem Empire unterworfenen Oligarchie“ ausgestellt habe.
Chávez habe Gramsci gründlich missverstanden, findet hingegen Arturo Peraza. „Eine neue kulturelle Hegemonie kann man nicht mit Gewalt durchsetzen“, meint der linke Jesuit. „Die wahre Hegemonie entseht aus der Zivilgesellschaft heraus und nicht an ihr vorbei.“ GERHARD DILGER
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